Gedanken für den Tag

Von Andreas Muhar. "Was ich alles nicht weiß" - Wissenswertes über das Nichtwissen. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Die Integration verschiedener Wissensarten ("Expertenwissen", "Laienwissen") bei der Lösung von Nachhaltigkeitsfragen ist einer der Forschungsschwerpunkte von Andreas Muhar, Professor an der Universität für Bodenkultur Wien.

In den "Gedanken für den Tag" setzt er sich rund um den Beginn des neuen Schuljahres mit dem "Nichtwissen" auseinander. Dieses sei nämlich oft besser als sein Ruf, so Muhars provokante These.


Der Blick auf die Kehrseite

In diesen Wochen beginnt für Österreichs Schülerinnen und Schüler wieder der Unterricht. Im Mittelpunkt der Bildungsdebatten steht meist die Frage, wie den jungen Menschen das Wissen vermittelt werden kann, das sie brauchen, um den Herausforderungen des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft und ganz besonders in der Arbeitswelt begegnen zu können. Dabei wird klar kommuniziert, dass Wissen per se etwas Gutes ist.

Ich bin Forscher und Lehrer an einer Universität und habe damit das Produzieren und Vermitteln von Wissen zu meinem Beruf gemacht. Aber ich schau mir auch gerne bei allen Dingen die Kehrseite an: Wenn Wissen gut ist, heißt das dann, dass Nichtwissen schlecht ist? Geht es nur darum, das Nichtwissen aus der Welt zu schaffen, und alles wird gut? Ist Nichtwissen einfach ein leerer Fleck auf der Landkarte unseres Wissens, den wir möglichst rasch ausfüllen sollen? Sind Wissende glücklichere Menschen als Nichtwissende?

Was sollen wir wissen, und was sollen wir besser nicht wissen? Die biblische Erzählung der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies habe ich in meiner Schulzeit immer als ungerecht empfunden: Da werden Menschen dafür bestraft, dass sie sich Wissen aneignen wollen. Aber genau das wurde ja von mir als Schulkind erwartet.

Zur Sündenfallgeschichte gibt es natürlich viele verschiedene Interpretationen, die haben mich aber nie so wirklich befriedigt. Ich beginne jetzt einmal bei mir selbst und überlege mir, was ich alles lieber nicht wissen will:

Ich will nicht wissen, was ich zu meinem nächsten Geburtstag geschenkt bekomme. Wissen nimmt mir alle Überraschungen weg, Nichtwissen hingegen befähigt mich zum Staunen. Deswegen wollte ich vor der Geburt meiner Kinder auch nicht wissen, welches Geschlecht sie haben.

Ich will nicht wissen, welchen Schmerz ich noch erfahren werde, weil wenn ich das schon vorweg wüsste, dann hätte ich die ganze Zeit bis dahin Angst davor. Daher will ich auch nicht wissen, wann und woran ich einmal sterben werde. Zumindest jetzt noch nicht, vielleicht wird sich das einmal ändern, das weiß ich aber noch nicht, die Ungewissheit öffnet mir einen Raum für Hoffnung.

Ich möchte mir die Vorstellung erhalten, dass ich meine Zukunft selbst gestalten kann, dazu brauche ich aber das Nichtwissen über das, was eintreten wird.

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Titel: GFT 120903 Gedanken für den Tag / Andreas Muhar
Länge: 03:49 min

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