Gedanken für den Tag

Von David Schalko. "Aussparungen". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Dort wo ich heute bin, gibt es keinen toten Winkel. Ich habe mich in eine U-Bahnstation geflüchtet und aus den Lautsprechern dröhnen die Beach Boys. Wenigstens "Pet Sounds". Sie haben die Folter nicht abgeschafft. Sie haben sie generalisiert. Es gibt keinen Winkel ohne Folter. Selbst in den U-Bahnstationen zwingen sie einen zu Nachrichten aus dem Wiener Zoo und den Beach Boys. In den Straßen wird man bei helllichtem Tage von überlebensgroßen Handymaskottchen heimgesucht. Überall sprechen die Menschen in einer Tour.

Ich denke an die Wühlmäuse, die unentwegt piepsen, um sich gegenseitig zu versichern, dass sie am Leben sind. Es hilft nichts, die Stille mit Geräuschen zu überdecken. Die Stille könnte uns verraten, dass nichts, was wir erschaffen, Naturgesetz wird. Wer wird uns mit der Stille versöhnen? Ist sie der größte Feind des Lebens? Sollten wir nicht das Leben, solange es geht, hinausschreien? Sollen wir wirklich kapitulieren und selbst die inneren Stimmen abstellen? Die inneren Stimmen, die uns versichern, dass wir uns selbst nicht abhanden kommen. Finden wir an stillen Orten wirklich innere Ruhe? Oder machen sie uns rasend und lärmend?

Von mir selbst gibt es nichts als Atem. Wenn ich auf ihn achte, ist er lauter als ein Presslufthammer, lauter als die Triebwerke eines Flugzeuges, lauter als eine nukleare Explosion. Ich höre ihn nur selten, weil ich stets auf die anderen höre. Meistens bin ich damit beschäftigt, mir zu versichern, ob alles noch da ist, was in Zukunft da sein sollte und was in der Vergangenheit nicht da war. Meistens achte ich nur auf die Nebengeräusche. Einen Tag lang nur den eigenen Atem hören. Inmitten dieses Lärms in dem ich heute stehe. Stiller wird es nicht.

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Titel: GFT 120911 Gedanken für den Tag / David Schalko
Länge: 03:49 min

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