Gedanken für den Tag

Von David Schalko. "Aussparungen". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Dort, wo ich heute bin, da riecht es nach Gras und warmem Beton. Sie haben beschlossen, den Rasen von Wimbledon zu entfernen. Sie haben gesagt, die Pflege wäre zu mühsam und es spielt sich auch kontrollierter auf Beton. Sie haben eine Umfrage gemacht, auf welchem Belag weltweit Tennis gespielt werden soll. Und die Mehrheit hat sich für Beton entschieden. Es hat mich traurig gemacht, immer wenn die Welt ein wenig hässlicher und pragmatischer und funktionaler wird, macht es mich traurig.

Die Welt hat den Sinn für das Umständliche, das Schöne und Nutzlose verloren. Sie verbietet das Ungesunde und die Geistesstörung. Dabei haben wir den Geistesgestörten alles zu verdanken. Jede Frage, die uns entbanalisiert, stammt von einem Geistesgestörten. War es jemals so hässlich wie heute? Haben wir uns jemals so wenig darum geschert? Ich will eine Clownnase aufsetzen und es niemandem erklären. Ohne dafür Andre Heller zu heißen. Würde für die Schönheit je einer in den Krieg ziehen?

Mein Nachbar hat aufgegeben. Er hat begonnen zu zählen. Er zählt die Vögel, die Autos, die Kalorien, die Atemzüge, die Versprecher im Fernsehen. Er macht Listen, die er in eine Ecke legt. Nie wird sie jemand lesen. Seine Bestandsaufnahmen machen ihn taub, blind und stumm. Natürlich, man munkelt, es hat eine Betonlobby gegeben. Der junge schöne Minister soll die Finger im Spiel gehabt haben. Wir waren so enttäuscht, als man damals seine universale Unschuld bewies. Wir hatten so gehofft, er wäre schuldig gewesen. Aber er hat die Wahrheit gesagt. Alles sauber. Und dass er seit neuestem in Beton macht, beweist nur seinen guten Riecher. Er ist einfach zu schön für diese Welt. Und wie gesagt: Wer würde schon für die Schönheit in den Krieg ziehen?

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Titel: GFT 120912 Gedanken für den Tag / David Schalko
Länge: 03:49 min

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