Gedanken für den Tag

9. Oktober 2012, 06:56

Das wandernde Gottesvolk

"Die Kirche wird 50 Jahre brauchen, um sich von den Irrwegen Johannes XXIII. zu erholen!" Also sprach Giuseppe Siri, einer der einflussreichsten und konservativsten Prälaten, nachdem der Roncalli-Papst den 17 Kardinälen in Sankt Paul vor den Mauern seine Konzilsidee vorgetragen hatte. Mit "erholen" war offenbar gemeint, dass es 50 Jahre brauchen werde, bis sich die Unruhe wieder gelegt hat, die das Konzil mit sich gebracht hat.

Doch Siri hatte unrecht. 50 Jahre sind um, und die Kirche hat sich nicht erholt - und wird sich so schnell nicht erholen, wenigstens nicht so, wie es Siri gemeint haben dürfte. Die römisch-katholische Kirche versteht sich nämlich seit dem Konzil anders als vor 50 Jahren. Sie will nicht mehr die hierarchisch geordnete und statisch "perfekte Gesellschaft" sein, sondern das "pilgernde und wandernde Gottesvolk". Sie versteht sich seit dem Konzil als Communio, als Gemeinschaft, die zudem auf dem Weg ihrer Pilgerschaft einer "dauernden Reform" bedarf, wie das Konzil wörtlich feststellt. Und bei einer Pilgerschaft ist Erholung nicht angesagt. Wege und Wetter sind rau, Müde, Marode und unwillig Gewordene dürfen nicht zurückgelassen werden und Vorausstürmende müssen überzeugt werden, dass das gemeinsame Gehen das sinnvollere ist.

In diesem Gehen glaubt das Volk Gottes, so heißt es im Konzilsdokument "Gaudium et spes", "dass es vom Geist Gottes geführt wird und bemüht sich, in den Ereignissen und Bedürfnissen, die es mit allen Menschen unserer Zeit teilt, zu erkennen, was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes sind." Dies wirklich umzusetzen, wird wohl auch für weitere 50 Jahre keine Erholung bringen.

Service

Buch, Hubert Gaisbauer, "Ruhig und froh lebe ich weiter", Wiener Domverlag

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