Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell. "Einen Augenblick Luft" - Zum 150. Geburtstag von Gerhart Hauptmann. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

"D'r Mensch muß doch aa eenziges Mal an Augenblick Luft kriegen". Dieser Aufschrei in schlesischem Idiom stammt aus Gerhart Hauptmanns wichtigstem Stück "Die Weber". Als es vor 120 Jahren, 1892, als Buch erschien und ein Jahr später aufgeführt wurde, löste es einen Skandal aus. Dabei war die Uraufführung in Berlin eine geschlossene Vorführung - öffentliche Aufführungen hat die Theaterzensur auch danach noch verboten. Hauptmann stellte die alles niederdrückende Not der schlesischen Weber und ihren verlorenen Aufstand im Jahr 1844 auf die Bühne.

"Erst Menschen, hernach das Drama", hatte Gerhart Hauptmann in seinem Tagebuch notiert. Er verstand es, eine Figur sich selbst in wenigen Worten und Gebärden unvergesslich zeichnen zu lassen. Hauptmann hat über die Situation der schlesischen Weber genau Bescheid gewusst - sein eigener Großvater war noch zwölf Stunden täglich am Webstuhl gestanden. Zweimal ist der Schriftsteller von Berlin aus in sein heimatliches Schlesien gereist, um Quellen zu studieren. Er war sogar versessen, selbst weben zu lernen. Hauptmann wollte Leben und Arbeit der Weber ganz genau kennen lernen. Und es kam ihm auf die Sprache an - darum hat er sein Stück auch zuerst im schlesischen Dialekt geschrieben und erst danach eine dem Hochdeutschen angenäherte Fassung erstellt.
Als 1895 eine Verschärfung der Zensurbestimmungen und ein Verbot der "Weber" zu befürchten war, schrieb Hauptmann an seine Frau Marie: "Grauenhaftes, himmelschreiendes Elend darf der Christ, der sich das Gleichnis vom barmherzigen Samariter in der Kirche vorhalten lässt, ... nicht einmal sehen. Oder wenigstens darf er nicht merken lassen, dass er es sieht. Er muss den Kranken, Elenden, Beraubten kalten Blutes am Wege verschmachten lassen. So will es - die Obrigkeit."

Der junge Gerhart Hauptmann hatte einen genauen Blick für die Heuchelei der Gesellschaft und die Instrumentalisierung des Religiösen. Und man muss sich nur für die Arbeitsbedingungen interessieren, unter denen heute außerhalb Europas die Güter unseres täglichen Gebrauchs hergestellt werden, um den Aufschrei der unterdrückten Weber auch heute zu hören: "D'r Mensch muß doch aa eenziges Mal an Augenblick Luft kriegen".

Service

Buch, Peter Sprengel, "Gerhart Hauptmann. Bürgerlichkeit und großer Traum. Eine Biografie", Verlag C. H. Beck
Buch, Hans-Egon Hess (Hg.), "Gerhart Hauptmann: Sämtliche Werke. Dentenar-Ausgabe zum 100. Geburtstag des Dichters", Band V: Romane, "Der Narr in Christo Emanuel Quint", Proyläen Verlag
Buch, Hans Schwab-Felisch (Hg.), "Gerhart Hauptmann: Die Weber. Dichtung und Wirklichkeit", Ullstein Taschenbuch

Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Paul Hindemith
Album: Werke für Klarinette und Klavier
* Mäßig bewegt - Langsamer, ruhig - Sehr ruhig - 1.Satz (00:04:47)
Titel: Sonate für Klarinette und Klavier
Solist/Solistin: Sabine Meyer /Klarinette
Solist/Solistin: Alfons Kontarsky /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: EMI CDC 7497112

weiteren Inhalt einblenden