Gedanken für den Tag

6. Dezember 2012, 06:56

"Heiliger Nikolaus, schütz uns vor Polizei und Arbeitshaus" - diesen Satz hatte sich ein Häftling in Köln im Jahr 1933 auf den Oberarm tätowieren lassen. Nikolaus ist eben einer der populärsten Heiligen der katholischen wie der orthodoxen Kirche und daher als Patron und Beschützer für viele zuständig - unter anderem auch für Diebe und Verbrecher. Viele Legenden und Wundergeschichten ranken sich um seine Person, aber dass er im vierten Jahrhundert als Bischof von Myra in Kleinasien gewirkt hat, gilt als sicher. Zumindest seit dem 14. Jahrhundert werden in unseren Breiten an seinem Festtag Kinder beschenkt.

Vor Jahrzehnten bin ich, als Nikolaus verkleidet, in Salzburg zu Kindern gestapft. Noch immer erinnere ich mich an einen kleinen Buben, der mir ein Gedicht aufsagen sollte und es vor Aufregung nicht mehr zustande brachte. So geht es ja auch Erwachsenen manchmal: Ein wichtiger Augenblick ist mit Erwartung derart aufgeladen, dass man wie gelähmt ist, wenn sie sich erfüllt. In diesem Fall lag das Problem freilich in den Erwartungen, die die Eltern an ihren Buben hatten: Für sie musste er das Gedicht einfach können, und weil er versagt hatte, sollte ich ihm seine Geschenke nicht geben. Doch in meiner Nikolaus-Rolle war ich stärker als die Eltern. So überreichte ich ihm sein Geschenk mit einem besonderen Lob für sein Bemühen und der Versicherung, dass ich als Nikolaus ja wisse, dass er das Gedicht kann. Ich wollte ihn nur nicht allein mit seinen Eltern zurücklassen und hatte Angst, was mit ihm passieren wird, wenn ich die Wohnung verlasse.

Jetzt, wenn ich über den Advent als Zeit der Erwartung spreche, fällt mir der Bub von damals wieder ein. Denn so gewiss es ist, dass die Erwartung der Motor und Glutkern des Lebens ist, so wichtig kann es auch sein, einmal nichts von jemandem zu erwarten und ihn oder sie einfach sein zu lassen. Und auch sich selbst nicht mit vorgefertigten Erwartungen zu terrorisieren. In all den Legenden von Wohltaten, Hilfen und Geschenken des heiligen Nikolaus ist jedenfalls nie von Vorbedingungen die Rede oder von Erwartungen, die jemand erfüllen muss.

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