Gedanken für den Tag

Von Cornelius Hell. "Augen offen halten und warten". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Jüdische Messiaserwartung und christlicher Advent, der marxistische Schriftsteller Jura Soyfer, der am 8. Dezember vor 100 Jahren geboren wurde, und Kinderaugen, die auf den Nikolaus gerichtet sind - auf unterschiedliche Weise bezeugen sie: Warten ist der Grundmotor des Lebens. Denn, so meint der Übersetzer und Literaturkritiker Cornelius Hell, das, was ist, kann nicht alles sein.

Morgen wäre der Schriftsteller Jura Soyfer hundert Jahre alt. Er wurde am 8. Dezember 1912 in Charkow geboren, das damals zum russischen Kaiserreich gehörte und heute in der Ukraine liegt. 1921 floh die Familie vor den Bolschewiken nach Österreich, und Jura Soyfer ging in Wien zur Schule. Schon mit 17 Jahren war er beim politischen Kabarett der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei aktiv, mit 19 begann er seine "Zwischenrufe links" für die "Arbeiterzeitung" zu schreiben. Aus Enttäuschung über die Partei trat er 1934 der illegalen KPÖ bei und begann seinen Roman "So starb eine Partei". 1937 wurde er für drei Monate inhaftiert, im Februar 1938 nach einer Amnestie freigelassen. Danach blieben ihm nur mehr 25 Tage Freiheit. Am Tag nach dem "Anschluss" wurde er beim Versuch, auf Skiern in die Schweiz zu gelangen, verhaftet. Er kam in das Konzentrationslager Dachau und von dort nach Buchenwald, wo er am 16. Februar 1939 an Typhus starb - keine 27 Jahre alt.
In Dachau schrieb er zusammen mit dem Komponisten Herbert Zipper ein Gedicht, das niemand vergisst, der es einmal gehört hat: das "Dachaulied". Eine seiner Strophen lautet:
Vor der Mündung der Gewehre
Leben wir bei Tag und Nacht.
Leben wird uns hier zur Lehre,
Schwerer, als wir's je gedacht.
Keiner mehr zählt Tag' und Wochen,
Mancher schon die Jahre nicht.
Und so viele sind zerbrochen
Und verloren ihr Gesicht.
Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt,
Und wir wurden stahlhart dabei.
Bleib ein Mensch, Kamerad,
Sei ein Mann, Kamerad,
Mach ganze Arbeit, pack an Kamerad:
Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei,
Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei!
"Arbeit macht frei" - zynisch hatten die Nazis diesen Satz über das Tor des Konzentrationslagers geschrieben. Im Refrain seines Liedes nimmt Jura Soyfer die Losung auf und prägt sie zu einer Durchhalteparole um. Die letzte Strophe zeigt einen Hoffnungsschimmer:
Einst wird die Sirene künden:
Auf zum letzten Zählappell!
Draußen dann, wo wir uns finden,
Bist du, Kamerad, zur Stell.
Hell wird uns die Freiheit lachen,
Schaffen heißt's mit großem Mut.
Und die Arbeit, die wir machen.
Diese Arbeit, sie wird gut.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Erik Satie/1866 - 1925
Album: Klaviermusik von Erik Satie
* Gymnopedie Nr.1 : Lent et douloureux (00:03:20)
Titel: GYMNOPEDIES für Klavier Nr.1 - 3
Solist/Solistin: Yitkin Seow /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Hyperion CDA 66344

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