Gedanken für den Tag

Von Cornelius Hell. "Augen offen halten und warten". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Jüdische Messiaserwartung und christlicher Advent, der marxistische Schriftsteller Jura Soyfer, der am 8. Dezember vor 100 Jahren geboren wurde, und Kinderaugen, die auf den Nikolaus gerichtet sind - auf unterschiedliche Weise bezeugen sie: Warten ist der Grundmotor des Lebens. Denn, so meint der Übersetzer und Literaturkritiker Cornelius Hell, das, was ist, kann nicht alles sein.

In Österreich weiß man schon seit etlichen Jahren nicht mehr, ob heute ein Feiertag ist oder nicht. Das liegt wohl auch daran, dass selbst viele Katholikinnen und Katholiken nicht mehr so recht wissen, was da eigentlich gefeiert wird. Die Unbefleckte Empfängnis Mariens - damit ist gemeint, dass Maria ohne die sogenannte Erbsünde empfangen wurde, denn sie sollte die Mutter des Erlösers werden. Man muss sich ziemlich tief auf mittelalterliche Theologie einlassen, um die Kontroversen bei der Entstehung dieses Festes zu verstehen. Denn aus der Bibel lässt sich die Vorstellung von der Unbefleckten Empfängnis Mariens nicht ableiten.

Mir fällt es leichter, diesem Fest etwas abzugewinnen, wenn ich mir klarmache, dass es dabei um das Potenzial geht, das in Maria schon vom ersten Augenblick ihres Lebens an angelegt war. Dass sie einzigartig war - und dass jeder Mensch einzigartig ist. Das fasziniert mich auch noch immer an der christlichen Vorstellung der Berufung eines jeden Menschen. Obwohl sie ihre gefährlichen Schattenseiten hat - schnell wird daraus so etwas wie eine Vorherbestimmung. Aber wenn man die Idee ganz aufgibt, denkt man sehr schnell in Funktionen und verliert das Wunder aus dem Blick, das jeder Mensch ist.

Mit jedem Menschen beginnt etwas ganz Neues. Niemand hat das so klar ausgedrückt wie die jüdische Philosophin Hannah Arendt. Mehrmals zitiert sie den Satz von Augustinus: "Damit ein Anfang sei, ist der Mensch geschaffen." Mit jeder Empfängnis, mit jeder Geburt beginnt eine neue Welt. Dass man Gott in einem neugeborenen Kind erkennen kann, das ist wohl der originellste und überraschendste Kern des Christentums. So ist es nicht verwunderlich, dass man von Jesus wie von Maria nicht nur die Geburt, sondern auch die Empfängnis feiert. Und wann würde das besser passen als im Advent, der Zeit der großen Erwartung.

Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Traditional
Bearbeiter/Bearbeiterin: Tuck Andress
Titel: Conventry Carol - What Child Is This / unter Verwendung der Melodie von "Greensleeves"
Solist/Solistin: Tuck Andress /E-Gitarre
Länge: 02:00 min
Label: Windham Hill WH 101352

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