Zwischenruf

von Christoph Weist (Wien). "Die verstümmelte Freiheit" - Ist der Laizismus die Antwort auf das Problem des religiösen Pluralismus?

Als wenn das alles so einfach wäre! "Religion ist Privatsache" tönt es nicht erst jetzt, ein paar Wochen vor einem Volksbegehren, aus manchen Ecken der Gesellschaft. Zunächst scheint das nicht unplausibel zu sein. Ist doch die Welt vielfältiger geworden, und Kirchen, Religionen und Weltanschauungen - gegen die man natürlich, wie stets betont wird, eigentlich nichts hat - stehen in dem Ruf, durch Absolutheitsansprüche und Gier nach Einfluss und Macht ganz wesentlich zu gesellschaftlichem Unfrieden beizutragen.

"Laizismus", die radikale Trennung von Kirche und Staat, scheint hier das Schlüsselwort zu sein, das Therapie verspricht. Es scheint einen Weg zu weisen, wie Staat und Gesellschaft religiösen Pluralismus garantieren, keine Gruppe privilegieren und damit alle religiösen Interessen und Aktionen ins Reich der beschaulichen privaten vier Wände verbannen können.

Nur dass bei Lichte besehen gerade die Hochburgen laizistischer Staatsdoktrin zeigen, dass das so mir nichts dir nichts nicht geht. Im radikalsten Fall, dem der Türkei, war Laizismus niemals durchsetzbar, und der Islam prägt bekanntlich nach wie vor das gesellschaftliche Miteinander. In Frankreich, dem Ursprungsland des Laizismus, spricht man längst schon von einer "offenen Laizität", die die Rolle des Staates nicht mehr nur als weltanschaulich beliebig versteht, sondern seine Verantwortung weiter fasst. Eine Expertenkommission hat der französischen Regierung sogar eine "institutionelle Unterstützung bei der Ausübung des Glaubens" vorgeschlagen. Und auch die Trennung von Staat und Kirche in den USA, die durch den ersten Verfassungszusatz geregelt ist, besagt lediglich: "Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat oder die freie Religionsausübung verbietet." Religion ist damit keineswegs ins Private abgedrängt.

Es gilt, was die junge Politikwissenschaftlerin Julia Mourao Permoser kürzlich am Rande eines Kongresses über Europa und die Religionen in Wien in einem Zeitungsinterview festgehalten hat: "Religion ist eine politische und soziale Realität, die sich von selbst aufzwingt. Die Frage ist eher: Wann und wie mit Religion, wann und wie ohne?"

Es ist eben alles nicht so einfach. Denn es geht um nichts weniger als um Freiheit, um Religionsfreiheit. Das Schlagwort "Religion ist Privatsache" verstümmelt diese Freiheit indem sie ihr die öffentliche Betätigung in der Gesellschaft verwehrt. Ein Staat, der sich weigert, religiöse Lebensäußerungen zu fördern, ist nicht einfach religiös neutral, vielmehr diskriminiert er Religion. Kurz: Ein Staat, der der religiösen Freiheit im staatlich organisierten öffentlichen Leben, etwa in den Schulen, keinen Raum gibt, ergreift selbst weltanschaulich Partei. Er stellt sich gegen die Religionen, die doch ein Teil seiner Gesellschaft sind.

Zwar gehöre Europa nicht der Religion und könne also nicht von religiösen Gemeinschaften und deren Wahrheitsansprüchen beschlagnahmt werden, hieß es auf dem internationalen Kongress, umgekehrt gehörten jedoch die Religionen zu Europa. Denn der aktive Schutz und nicht bloß die Duldung von weltanschaulicher Freiheit und Religionsfreiheit sei als fundamentales Menschenrecht Teil des Kernbestands des europäischen Wertekanons. Daher gilt auch für Österreich, seinen Staat und seine Gesellschaft das Resümee, das der deutsche Religionssoziologe Martin Riesebrodt auf dem Kongress gezogen hat: "Europa ohne Religion ist weder denkbar noch wünschenswert."

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