Gedanken für den Tag

Von Arnold Mettnitzer. Hungerlieder zwischen Brot und Wein - Zum 40. Todestag von Christine Lavant. Gestaltung: Alexandra Mantler

Arnold Mettnitzer ist katholischer Theologe und Psychotherapeut:

Am 7. Juni 1973, in ihrem 58. Lebensjahr, erliegt Christine Lavant
im Landeskrankenhaus Wolfsberg in Kärnten einem Schlaganfall.
Vierzig Jahre lang hatte sie die Höllen und Ängste endogener Depression durchlebt.

Bereits als Vierjährige beginnt ihre Leidensgeschichte:
Skrofeln, eine heute fast vergessene Krankheit, und als Folge davon entstellende Narben am Hals,
ein chronisches Augenleiden, das sie fast erblinden lässt,
Mittelohreiterungen, die sie später fast taub sein lassen.
Dazu eine schwere Lungentuberkulose.
Mit 19 Jahren versucht sie aus diesen ständigen Bedrängnissen zu entfliehen.
Ihr Suizidversuch endet in der Psychiatrie.
Durch all das hindurch, so scheint es,
wächst in ihr ein feines Gespür für Kaum-Wahrnehmbares:
Stunden vor seinem Ausbruch spürt sie im Erdboden das kommende Gewitter. Lange bevor er niederfällt, riecht sie den Regen in der Luft.
Mit ihren halbblinden Augen sieht sie Farben,
die anderen verborgen bleiben.
Pflanzen und Tiere, die Tageszeiten, Sonne und Mond
sind ihre Geschwister, zu denen sie in ihren Gedichten spricht:

HILF MIR, SONNE, denn ich bin fast blind!
Nimm den Teller meiner linken Hand,
zeichne ein das hochgelobte Land
und die Wege, die noch gangbar sind
für Erblindete und für Ertaubte.
Deine Wärme treibt jetzt einen Keil
in die Adern meiner linken Hand
bis zum Herzen, das ein wenig bebt.
Sonne - bist du sicher, dass es lebt?
Bist du sicher, dass ich dort das Land
und den Samen aller Namen finde,
während ich ertaube und erblinde?
(Spindel im Mond. Gedichte, Otto Müller Verlag, Salzburg 1995, 5. Auflage, Seite 28)

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Arvo Pärt/geb.1935
Titel: Symphonie Nr.3 < Neeme Järvi gewidmet >
* 1.Satz (00:06:14)
Orchester: Bamberger Symphoniker
Leitung: Neeme Järvi
Länge: 02:00 min
Label: BIS 434

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