Zwischenruf

von Landessuperintendent Thomas Hennefeld (Wien)

"Wenn die Haifische Menschen wären, wären sie dann netter zu den kleinen Fischen?", fragt die kleine Wirtstochter Herrn K.

"Sicher, wenn die Haifische Menschen wären, würden sie im Meer für die kleinen Fische gewaltige Kästen bauen lassen, mit allerhand Nahrung drin, sowohl Pflanzen als auch Tierzeug . und die Musik wäre so schön, dass die Fischlein, unter ihren Klängen, träumerisch und in angenehmste Gedanken eingelullt, in die Haifischrachen strömten."
Bert Brecht erzählt diese Parabel der Haifische, um ein System aufzuzeigen, in dem die Mächtigen absolute Kontrolle über die Menschen ausüben, und diese sich widerspruchslos in ihr Schicksal ergeben.

Heute befinden sich in Millionen von Haushalten rund um den Globus Internetanschlüsse und entsprechende kleinere oder größere Kästen und dazugehörige Leitungen, durch die man die Welt ins Wohnzimmer holen kann. Aber wie bei allen revolutionären Erfindungen und Errungenschaften gibt es auch hier die Schattenseiten. Denn das bequeme und unterhaltsame Kommunizieren, Arbeiten und Spielen birgt die Gefahr, dass ungebetene Gäste einbrechen, diesmal aber nicht real sondern virtuell, allerdings mit realen Konsequenzen. Wie die letzten Wochen gezeigt haben, gilt das nicht nur für Kriminelle aller Art, die Daten absaugen, Virenprogramme einschleusen, Passworte ausspähen, sondern auch für Behörden und zwar nicht nur in Diktaturen sondern auch gerade in jenen Staaten, die auf ihre demokratischen Traditionen besonders stolz sind: wie in den USA und Großbritannien. Aber wir brauchen uns nichts vorzumachen: So global wie die Kommunikation ist, so global ist auch die Möglichkeit, jeden Computer und jedes Telefon auf der Welt auszuspionieren, auch in unserem Land.

Edward Snowden, bis vor kurzem einer breiten Öffentlichkeit völlig unbekannt, wurde in wenigen Wochen zur Figur, an der sich die Geister scheiden, für die einen ein Held, für die anderen ein Verräter. Dieser 30-jährige Mann wagte es, umfangreiche Abhör- und Überwachungsaktionen des US-Geheimdienstes National Security Agency, kurz NSA, ans Licht zu bringen. Erschreckend ist, dass sich Medien und die Öffentlichkeit hauptsächlich mit der Flucht des IT-Technikers beschäftigen, als handle es sich um einen spannenden Spionage-Thriller, anstatt den eigentlichen Skandal zu thematisieren. Unter dem fadenscheinigen Vorwand der Sicherheit werden alle Bürgerinnen und Bürger zu Verdächtigen. Ja, schlimmer noch, es scheint sich die ganze Welt und auch Politikerinnen und Politiker in unserem Land damit abgefunden zu haben, dass jeder Mensch zu einem potentiellen Terroristen gestempelt wird.

Unabhängig von ihrer persönlichen Motivation muss man Menschen wie Edward Snowden oder Julian Assange für ihre Enthüllungen dankbar sein, denn sie bringen ans Licht, was Geheimdienste so treiben, und wie sie unser Leben ausspionieren. Es gibt schon zu denken, wenn die Aufdecker solcher Skandale ungeheuren Ausmaßes selber wie Terroristen behandelt und wie solche gejagt werden.

In den USA nennt man diese unbequemen Zeitgenossen Whistleblower. Sie pfeifen heraus, was geheim bleiben sollte und sie pfeifen darauf, dass sie sich damit Feinde und Gegner machen. Whistleblower wollen die Gesellschaft warnen vor Verschwörungen, Kriegsgefahr und Demokratieverlust und in diesem Fall vor der Gefahr totaler Überwachung.

Im Alten Testament übernahmen die Propheten diese Rolle des Mahners und Warners. Und es erging ihnen nicht anders als den heutigen Whistleblowern. Sie wurden verfolgt, gefangen genommen und im äußersten Fall mit dem Tod bedroht. Anstatt Unheil und Unrecht zu bekämpfen, haben die Herrschenden schon damals versucht, den Botschafter des Unheils unschädlich zu machen.

Solche Whistleblower haben aber eine eminent wichtige Funktion in der Gesellschaft. Sie legen den Finger in die Wunde, wo sie zu eitern beginnt. Sie wollen aufmerksam machen, ja wachrütteln, bevor es zu spät ist.

Auch wenn die Auswirkungen nicht sofort spürbar sind, die Folgen können verheerend sein. Es steht nicht weniger auf dem Spiel als der Verlust mühsam erkämpfter Bürger- und Menschenrechte. Die Freiheit wird in einer totalen Überwachungsgesellschaft zur Farce. Auf Knopfdruck können missliebige Personen identifiziert, ausgeforscht und dingfest gemacht werden, und jeden und jede kann es treffen.

Was da der IT-Techniker ans Licht gebracht hat, müsste einen weltweiten Sturm der Entrüstung hervorrufen und eindeutige Reaktionen wie: die Forderung nach strengen Datenschutzbestimmungen, eine breite Debatte über Nutzen und Grenzen von Überwachung durch den Staat. Empören, sich wehren, auf persönliche Freiheitsrechte pochen, das muss die Reaktion sein, bevor wir verspielt, verträumt und selig im Rachen der Haifische landen.

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