Gedanken für den Tag

Von Ines Knoll, evangelische Pfarrerin. "Es ist, was es ist" - Zum 25. Todestag von Erich Fried. Gestaltung: Alexandra Mantler

"Das Unmaß aller Dinge" - wie mir das gefällt, diese Drehung einer Wendung in ihr Gegenteil. So typisch für Erich Fried, so behände zu überraschen.

"Der Mensch ist das Maß aller Dinge", ein Satz des griechischen Philosophen Protagoras, der die schreckliche Wahrheit schon enthält, dass es nämlich der Mensch ist, der das "Unmaß aller Dinge" herstellt und die Unkenntlichkeit wirkt in abertausend Durchdunkelungen, die die Welt zerstören und ihre Schönheit und die Deutlichkeit.

"Ich weiß nicht, ob es mich noch gibt", schreibt der Dichter aus der empfundenen Maßlosigkeit. So ein Satz, in dem hindurch schwingt, wie ein Mensch sich verlieren kann, wenn er alles verloren hat. Nachdem sein Vater, haftentlassen von der Gestapo, an den Folgen eines Verhörs am 24. Mai 1938 stirbt, die elterliche Wohnung in der Alserbachstraße, in Wien wenige Wochen später gekündigt wird, flieht Fried im August 1938 nach London. Die Mutter kommt einige Monate später nach...

Erich Fried bekommt seinen ersten Schreibauftrag. Wie durch ein Wunder kommt er an seine erste Schreibmaschine. Für die muss er nichts bezahlen, sie war im Geschäft heruntergefallen. Genau zu jenem Zeitpunkt, als Fried eine Maschine brauchte. Er brauchte diese Schreibmaschine wie er Brot und Wasser brauchte. Die Sprache konnte jetzt anfangen, den Schrecken aufzuarbeiten.

Das Unmaß des Leidens, konnte in ein neues Maß von darüber Sprechen eingebunden werden - wie das Schreibpapier in die Schreibmaschine eingezogen wird. Später wird er die therapeutische Arbeit des Künstlers hervorheben, die er für sich selbst zuerst braucht. Fried arbeitet als Schriftsteller, weil er selbst diese Therapie für sich braucht und sie darin sucht, dass er eben schreibt. Und so weiß: Es gibt mich!


Die Gedichte von Erich Fried liest Alexander Tschernek.

Service

Alexander Tschernek

Buch, Klaus Wagenbach und Volker Kaukoreit (Hg.), "Erich Fried. Gesammelte Werke", Verlag Wagenbach

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Johann Friedrich Fasch/1688 - 1758
Titel: Sonate für zwei Oboen, Fagott und B.c. in B-Dur
* Andante - 1.Satz (00:02:14)
Solist/Solistin: Burkhard Glaetzner /Oboe
Solist/Solistin: Ingo Goritzki /Oboe
Solist/Solistin: Thomas Reinhardt /Fagott
Solist/Solistin: Siegfried Pank /Viola da gamba
Solist/Solistin: Achim Beyer /Violone
Solist/Solistin: Christine Schornsheim /Cembalo
Länge: 02:00 min
Label: Capriccio 10239

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