Zwischenruf

von Superintendent Hermann Miklas (Graz)

Seit ein paar Tagen bin ich etwas verstört. Ein freies Wochenende war angesagt - ich hab mich so richtig darauf gefreut! Ein wunderbarer Mix sollte es werden von Freizeitaktivitäten und einfach nur "Die-Seele-Baumeln-Lassen". Und dann kommt am Abend davor ein Anruf, dass jemand aus dem Bekanntenkreis einen schweren Unfall hatte und mit dem Leben ringt. Weit weg im Ausland - also hab ich konkret nichts "tun" können - außer zu beten. Das Problem war nur: Meine Freude war weg. Ständig habe ich an den Verletzten denken müssen und wie´s ihm wohl gehen mag. Ich hab das ganze Wochenende nicht mehr genießen können - dabei hätte ich es so dringend gebraucht.

Nun gut, so was kann passieren. Es wird schon wieder einmal eine Atempause kommen. Nur - wie das manchmal so ist: Ein solches Einzelerlebnis kann dann plötzlich eine ganze Kettenreaktion auslösen. Ein paar Tage später wollte ich während des Abendessens noch schnell die Nachrichten anschauen - aber angesichts der Katastrophenmeldungen dort ist mir bald der Appetit vergangen. Genauer gesagt: Die Vorstellung, wie furchtbar das alles für die Menschen vor Ort dort sein muss, hat bewirkt, dass ich es mir nicht mehr unbefangen schmecken lassen konnte.

Bald darauf noch ein paar kleine Anstöße in diese Richtung.Bis ich mich schließlich gefragt habe: Gibt es eigentlich überhaupt eine Zeit, in der man unbefangen genießen kann? Immer ist irgendetwas los! Etwas, was einen nicht kalt lässt und wo man direkt ein schlechtes Gewissen bekommt, wenn man daneben den eigenen Alltag munter weiter lebt.

Jetzt denken Sie vielleicht: "Typisch Kirche! So kann auch nur ein Geistlicher reden, sieht überall gleich das Negative." Nun mag es schon sein, dass man in unserem Beruf besonders sensibel wird - und ich würde sagen: Grundsätzlich ist das sogar positiv (außerdem gilt das ja für viele andere Berufe genauso). Aber kann es sein, dass über der Sensibilität schließlich die Freude verloren geht? Dass durch das viele Leid ringsum allmählich die eigene Lebenslust regelrecht erstickt wird? Ist das im Sinne Gottes? Spätestens hier wird deutlich: Das kann´s wohl nicht sein! Der christliche Glaube jedenfalls meint nicht Selbstausbeutung durch Nächstenliebe.

Im Gegenteil. Die Bibel kennt erstaunlich viele Beispiele, die uns das Loslassen lehren wollen. "Wer unter euch könnte sein Leben auch nur um eine Spanne verlängern, indem er sich viele Sorgen macht?", fragt Jesus etwa in der Bergpredigt. Durch unser Sorgen werden die Dinge ja nicht automatisch besser. Wie intensiv unser Mitfühlen auch immer sein mag - irgendwann kommt der Punkt, wo wir zu dem, was uns belastet, wieder den nötigen Abstand gewinnen - und es in Gottes Hand legen müssen. Dort ist es besser aufgehoben. Ich denke, loslassen zu können, hat auch etwas mit Vertrauen zu tun.

Offenbar steckt schon eine tiefe Weisheit in dem Liebes- bzw. Vertrauensdreieck, das Jesus einmal gezeichnet hat: Liebe Gott - und deinen Nächsten - wie dich selbst. In letzter Konsequenz bedeutet das ja, dass ich sehr wohl auch auf mich schauen und meine Bedürfnisse ernst nehmen darf ... Ja, vielleicht ist das sogar meine Pflicht. Denn Freude und Lebenslust, sie sind ja jene Kraftquellen, ohne die ich irgendwann gar nicht mehr mitfühlen könnte. Sonst würde ich mieselsüchtig.

Sie verstehen schon: Das hat nichts dem anderen Extrem zu tun, dass manche Menschen sich total abschotten und prinzipiell nichts mehr wirklich nahe an sich heranlassen wollen. Nur - auf die richtige Balance kommt es an. Nicht, dass ich sie für mich im Moment schon wieder ganz gefunden hätte. Wahrscheinlich gilt es überhaupt, immer wieder neu um sie zu ringen. Doch es hilft schon, sich das auch in der Theorie wieder einmal bewusst ins Gedächtnis zu rufen.

In diesem Sinn wünsche Ihnen einen wunderschönen, möglichst unbeschwerten und erholsamen Sonntag!

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