Gedanken für den Tag

von Brigitte Schwens-Harrant, Theologin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung "Die Furche". "Freiheit, die sich erfindet und mich erfindet Tag für Tag" - Zum 100. Geburtstag von Octavio Paz. Gestaltung: Alexandra Mantler

Die Intellektuellen Mittel- und Südamerikas waren im 20. Jahrhundert in besonderem Maß politisch involviert, lateinamerikanische Autoren waren sogar als Politiker tätig: Mario Vargas Llosa kandidierte in Peru für das Präsidentenamt, Carlos Fuentes war Botschafter für Mexiko - ebenso Octavio Paz.

Der Hitler-Stalin-Pakt führte Paz zur Abkehr vom - unter Lateinamerikas Intellektuellen verbreiteten - Kommunismus, die Enthüllungen über die stalinistischen Arbeitslager taten ihr übriges. Andererseits protestierte Paz gegen den schrankenlosen Kapitalismus. Mit seiner Position saß er zwischen vielen Stühlen, wobei er aus Sicht mancher eher bei den Regierenden saß. Zwar setzte er sich theoretisch mit dem mexikanischen Wesen auseinander, aber die konkrete Geschichte schien er aus dem Blick zu verlieren. Sein Traum von der Einheit, die man in Gedichten erreiche, schien weltenthoben und wenig zu tun zu haben mit den konkreten Lebensbedingungen.

Als der Aufstand der Indios in Chiapas am 1. Januar 1994 von der Regierung blutig niedergeschlagen wurde, wurde deutlich, wie sehr sich Paz' Position etwa von der seines Freundes Carlos Fuentes unterschied. Die Indios dort waren nicht nur ethnisch diskriminiert, sondern auch bettelarm, sie verhungerten. Fuentes hielt eine Revolution von unten für notwendig. Paz hingegen distanzierte sich von den Aufständen, die er von extremistischen Organisationen aus den Städten gesteuert sah, unter anderem von Befreiungstheologen. Zwar gab er zu, dass die Lage der Indios katastrophal sei, doch der Staat habe viele Anstrengungen unternommen, Ungerechtigkeit und Armut zu mindern. Das würde naturgemäß erst langfristig wirken.

Dabei war es Octavio Paz selbst, der 1969 geschrieben hatte:

"Nach meiner ,politischen Utopie' sind zwar nicht alle Bürger gleich glücklich, aber alle gleich verantwortlich. Wir brauchen Entwicklungsmodelle, die realistischer, menschlicher, rentabler und sinnvoller als die jetzigen sind. Das ist die große Aufgabe unserer Zeit. Und nicht zu vergessen: Der höchste Wert kommt nicht der Zukunft, sondern der Gegenwart zu. Die Zukunft ist trügerisch. Sie sagt uns immer: ,Es ist noch Zeit!' Aber nicht die Zukunft ist die Zeit der Liebe. Was der Mensch wirklich will, will er jetzt. Wer ein Haus des Glücks für die Zukunft baut, baut ein Gefängnis für die Gegenwart."

Service

Buch, Octavio Paz, "Gedichte", Verlag Suhrkamp
Buch, Christian Morgenstern, "Gedichte in einem Band", Insel Verlag

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Julio César Oliva/geb.1947
Album: ESTAMPAS DE MÉXICO - MORGAN SZYMANSKI
Titel: Flor de Culiacán (Sinaloa). Homenaje a José Alfredo Jiménez - für Gitarre
Gesamttitel: Veinte Estampas de México / Zwanzig mexikanische Skizzen
Solist/Solistin: Morgan Szymanski /Gitarre
Länge: 02:00 min
Label: Sarabande Records SARACD004

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