Tonspuren

"Gewäsch und Gewimmel." Ein Spaziergang durch Brigitte Kronauers Roman. Feature von Eva Schobel

Wer eine hübsche Physiotherapeutin ist, bekommt nolens volens Geschichten zu hören, Bruchstücke aus dem Leben der Klient/innen, männlich oder weiblich, jünger oder älter, ärmer oder reicher, glücklicher oder unglücklicher. Wer eine empathische Physiotherapeutin wie Elsa Gundlach ist, leidet an Schlafstörungen und erzählt die Tagesreste in langen Nächten ihrem Freund, dem sie damit den Schlaf raubt - z.B. vom subtilen Machtkampf zweier verfeindeter Freundinnen um einen Kochtopf.

Wer eine Autorin wie Brigitte Kronauer ist, raubt ihren Leser/innen den Schlaf, die wissen wollen, wie und ob diese Geschichten in der Geschichte, diese tragischen, komischen, witzigen, tiefsinnigen, boshaften Fragmente von Lebensstoff erzählerisch zusammenfinden, und sie werden nicht enttäuscht. Denn Luise Wäns, die Lieblingsklientin Elsas, mit der sie manchmal durch ein Naturschutzgebiet im Norden Deutschlands wandert, in dem die ursprüngliche Landschaft wiederhergestellt werden soll, darf, zum Unterschied von den anderen Figuren des Romans, aus ihrer eigenen Perspektive zusammenhängend erzählen. In ihrem Haus treffen sich Menschen, die um Hans konkurrieren: einen charismatischen Mann, der das gefährdete Renaturierungsprojekt leitet. Luise beobachtet das Geschehen von ihrem Fernsehwinkel aus und liebt Hans so innig wie aussichtslos, denn sie ist eine alte Frau. "Was heißt hier alt", fragt die Autorin die Reporterin, "sie ist nicht älter als ich."

Brigitte Kronauer wurde 1940 geboren, hat von Kindheit an geschrieben, als Lehrerin gearbeitet, mit 40 Jahren ihren literarischen Durchbruch erlebt und 2005 den Georg-Büchner-Preis erhalten. In ihren Romanen spinnt sie Fäden durchs moderne Fetzenbewusstsein und lässt, zwischen allem Gewäsch und Gewimmel des Alltags, Schicksale entstehen.

Sendereihe

Gestaltung

  • Eva Schobel