Gedanken für den Tag

von Johanna Schwanberg, Kunstwissenschafterin und Direktorin des Wiener Dommuseums. "Visionär mittels Pinsel und Farbe" - Zum 400. Todestag von El Greco. Gestaltung: Alexandra Mantler

Ein bewegter dramatischer Himmel. Mit spannenden Wolkenformationen, die durch ein geheimnisvoll vibrierendes Nachtlicht nahezu dreidimensional erscheinen. Unter dem mystischen Himmel sitzt eine zarte Frau in der freien Natur. Komplett einsam. Sie hat langes offenes Haar und blickt verinnerlicht nach oben. Auffallend sind das in die Länge gezogene Gesicht und die gestreckten Körperformen. Die weit aufgerissenen traurigen Augen und die nachdenkliche Ausstrahlung berühren.

Gemalt hat dieses halbfigurige Frauenbildnis El Greco in den 80er Jahren des 16. Jahrhunderts. Es ist unverkennbar eine Darstellung der "Büßenden Maria Magdalena" und befindet sich heute in einem Museum in Kansas City.

Ich hatte schon zu Studienzeiten ein Faible für Bilder, die Maria Magdalena zeigen. Die Gestalt der reuigen Sünderin, die unterschiedlichen Facetten des Menschseins in sich vereint - die gleichermaßen sinnlich wie vergeistigt erscheint - ist natürlich spannend. Und sie bietet sich für Frauen mehr zur Identifikation an als die makellose Maria.

El Grecos Maria Magdalena interessiert mich besonders. Sie zeigt, welch enorme Rolle dieser Künstler für die Erneuerung der christlichen Bilderwelt spielte. So wandelte er traditionelle religiöse Motive ab. Und er führte neue in die Malerei ein. Der in Spanien lebende Grieche kreierte mit gefühlsbetonten Heiligenfiguren Bilder, die nicht nur rational, sondern vor allem emotional zu Dialogpartnern der gläubigen Betrachter wurden.

Seine "Maria Magdalena" begeistert mich aber auch, weil El Greco hier abweicht von der Art und Weise, wie männliche Künstler seiner Zeit Frauen dargestellt haben. Im Unterschied zu Magdalena-Bildern der italienischen Renaissance etwa ist seine Heilige kein sexualisierter Frauentyp, der sich für allerlei Projektionen anbietet. Vielmehr stellt er Magdalena gleich vergeistigt dar wie seine männlichen Heiligen. Das finde ich unglaublich zeitgemäß. Und lässt mich beinahe vergessen, dass wir diese Woche seines 400. Todestages gedenken.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Pierre Attaignant/um 1494 - um 1552
Gesamttitel: TANZMUSIK DER RENAISSANCE
Titel: Basse danse La Magdalena - für 4 Gamben
Ausführende: Ulsamer Collegium
Leitung: Josef Ulsamer
Länge: 02:00 min
Label: DG 4398852 (4 CD)

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