Diagonal - Radio für Zeitgenoss/innen

31. Mai 2014, 17:05

Wenn am 12. Juni um 17.00 Uhr Ortszeit die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien angepfiffen wird, dann im neuen Stadion von São Paulo.

Sie ist die größte und produktivste der Mega-Cities Südamerikas. São Paulo, Brasiliens Wirtschafts- und Industriemetropole, bekommt man am ehesten mit Superlativen in den Griff. Auf der einen Seite unvorstellbarer Luxus, obszöner Reichtum und die größte private Hubschrauberflotte der Welt, auf der anderen Armut, Favelas und die Drogenszene im Viertel "Cracolándia" (Crackland) mitten im Zentrum. Kulturelle Verfeinerung auf die Spitze getrieben und handfeste Arbeiterkultur; Beton, Asphalt, Smog, grau in grau, und eine blühende Kunstszene mit der zweitältesten Kunstbiennale der Welt. Gewerkschafter mit aufgekrempelten Hemdsärmeln, wie der frühere Staatspräsident Lula da Silva, und Börsianer in ihren teuren italienischen Designerschuhen - in São Paulo mit seinen 20,5 Millionen Einwohner/innen und einer Skyline, die der von New York um nichts nachsteht, gibt es alles und alle. Bloß Werbung im öffentlichen Raum gibt es nicht. Kein Plakat, keine Leuchtreklame, nicht einmal ein Firmenschild, das in den Straßenraum ragen würde. São Paulo ist die weltweit einzige Stadt ohne Werbung. Plötzlich sieht man wieder Architektur, die jahrzehntelang von halbnackten jungen Frauen auf Unterwäsche-Plakaten verdeckt war. Zuerst gab es harsche Proteste gegen diese Maßnahme des regierenden Bürgermeisters Gilberto Kassab, jetzt finden die allermeisten Paulistanos ihre werbefreie Stadt toll. Und darin liegt dann wohl der größte Unterschied zwischen der oft "New York des Südens" genannten brasilianischen Mega-City und ihrem Vorbild im Norden: Gingen am Times Square alle Lichter aus, würde jeder an eine Katastrophe denken. In São Paulo freut man sich über die Rückkehr der Nacht und den unverstellten Blick auf die Substanz einer unfassbaren Stadt.

Service

Laurence Kimmel/Bruno Santa Cecilia/Anke Tiggemann (Hrsg.), "Architectural Guide Brazil", DOM publishers
Luiz Ruffato, "Es waren viele Pferde", aus dem Portugiesischen von Michael Kegler, Assoziation A
Stefan Zweig, "Brasilien: Ein Land der Zukunft", Insel Verlag
Bernardo Carvalho, "Dreihundert Brücken", aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner, Luchterhand Verlag
Bernardo Carvalho, "In São Paulo geht die Sonne unter", aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner, Luchterhand Verlag
Andréa del Fuego, "Geschwister des Wassers", aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis, Hanser Verlag

São Paulo - Kunstbiennale
Kulturmontag Spezial Brasilien mit "Brasilien von oben" am 2. Juni, 22:30 Uhr, ORF 2

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