Zwischenruf

von Prof. Ulrich Körtner (Wien)

Der Geist des Lebens und der Geist des Kapitalismus


Erinnerung an Max Weber
Vor 150 Jahren, am 21. April 1864, wurde in Erfurt der bedeutende Soziologe, Jurist und Nationalökonom Max Weber geboren. Sein Vater, ein Jurist, war Landtags- und Reichstagsabgeordneter der Nationalliberalen Partei. Webers Mutter stammte aus einer Hugenottenfamilie. Wiewohl er sich später als "religiös unmusikalisch" bezeichnet hat, gilt Weber als herausragender Vertreter des deutschen Kulturprotestantismus, der von der Möglichkeit einer Synthese von aufgeklärtem Christentum und moderner Kultur überzeugt war und dem Erbe der Reformation einen entscheidenden Anteil am Entstehen der modernen Welt zumaß.

Nach seinem Studium in Heidelberg, Straßburg, Berlin und Göttingen promovierte und habilitierte sich Weber an der Berliner Universität. Es folgten Professuren in Freiburg und Heidelberg. 1903 wegen einer schweren psychischen Erkrankung auf eigenen Wunsch pensioniert, forschte und publizierte Weber weiter als hoch angesehener Privatgelehrter und führender Kopf der deutschen Soziologie. Es waren nicht zuletzt finanzielle Gründe, die ihn veranlassten, im Jänner 1918 einen Ruf an die Universität Wien anzunehmen. 1919 wechselte er auf einen Lehrstuhl an die Universität in München, wo er am 14. Juni 1920 an den Folgen einer Lungenentzündung starb.

Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus
Im Sommer 1904 - also vor genau 110 Jahren - verfasste Weber seinen berühmten Aufsatz über "Die protestantische Ethik und der ,Geist' des Kapitalismus". Er erkannte im Kapitalismus die Macht, die das Schicksal der Moderne bestimmt. An der Frage, ob sich der Geist des Kapitalismus bändigen lasse, entscheide sich die "Zukunft des Menschentums".
Webers Sicht auf den Kapitalismus ist mehrschichtig. In den 1890er-Jahren unterstützte der Nationalökonom die imperialistische Machtpolitik des neu gegründeten deutschen Reiches. Er bewunderte das Vorbild Großbritanniens, kritisierte das konservative Luthertum und seine Vorstellungen von einer ständisch organisierten patriarchalen Gesellschaftsordnung und setzte stattdessen auf Industrialisierung, kapitalistische Wirtschaftsordnung und liberale Kulturwerte. Später übte Weber aber an einem seelenlosen Kapitalismus Kritik, der zu einem "stahlharten Gehäuse" geworden sei, in dem nur noch Bürokraten und Technokraten herrschten, "Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz".

In seiner Studie von 1904 vertrat Weber die berühmt gewordene These, der moderne Kapitalismus hätte nicht ohne das protestantische Arbeitsethos entstehen können. Mit ihrem Begriff des Berufes, durch den die Arbeit zum Gottesdienst im Alltag der Welt aufgewertet worden sei, und mit ihrem Ideal einer "innerweltlichen Askese" hätte die Reformation den Boden für den neuzeitlichen Kapitalismus bereitet. Der Geist des Kapitalismus wäre demnach durch den Geist der Reformation beflügelt worden. Im Kapitalismus der Gegenwart habe sich dieser Geist allerdings verflüchtigt.

Wirtschaft im Dienst des Lebens
Webers These findet bis heute Zustimmung und Kritik. Sie ist historisch mit einer Reihe von Fragezeichen zu versehen. Kapitalismus- und globalisierungskritische Stimmen finden sich heute keineswegs nur in der katholischen Kirche - man denke an die Enzyklika "Evangelii Gaudium" von Papst Franziskus -, sondern auch in den evangelischen Kirchen.

Webers Frage, welch Geistes Kind der moderne Kapitalismus ist, bleibt aber produktiv. Der Geist des Kapitalismus und der Geist Gottes, der Geist des Lebens, von dem am heutigen Pfingstfest die Rede ist, geraten häufig miteinander in Konflikt. Die Frage lautet, ob hier ein unversöhnlicher Gegensatz besteht, oder ob sich die Marktwirtschaft im christlichen Sinne verantwortlich gestalten lässt. Ich möchte das bejahen, wobei für mich als Maßstab gilt: Der Geist Gottes wirkt, wo die Wirtschaft in den Dienst des Lebens gestellt, Armut beseitigt, die realen Freiheiten der Menschen vergrößert und das Gemeinwohl weiterentwickelt werden.

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