Im Gespräch

"Das Unrecht ist sagbar!"
Renata Schmidtkunz und Alexandra Föderl-Schmid, "Der Standard", im Gespräch mit der Publizistin Carolin Emcke ("Zeitgenossen im Gespräch", Universität Salzburg)

Ihrem 2013 erschienenen Buch "Weil es sagbar ist. Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit", stellt die in Berlin lebende Publizistin und Philosophin Carolin Emcke folgenden Text der russischen Dichterin und Schriftstellerin Anna Achmatova voraus:
"In den schrecklichen Jahren des Justizterrors unter Jeshow habe ich 17 Monate mit Schlangestehen in den Gefängnissen von Leningrad verbracht. Auf irgendeine Weise erkannte mich einmal jemand. Da erwachte die hinter mir stehende Frau mit blauen Lippen, die meinen Namen natürlich niemals gehört hatte, aus jener Erstarrung, die uns allen eigen war, und flüsterte mir ins Ohr die Frage (dort sprachen alle im Flüsterton):
"Und Sie können dies beschreiben?"
Und ich sagte: "Ja."
Da glitt etwas wie ein Lächeln über das, was einmal ihr Gesicht gewesen war."

In ihrem Studium der Philosophie, so schreibt Emcke, die später fast ein Jahrzehnt als Auslandredakteurin der Wochenzeitschrift "Der Spiegel" in Kriegsgebieten unterwegs war und von den Menschen dort berichtet hat, habe sie zum ersten Mal den Zusammenhang von Gewalt und Sprachlosigkeit verstanden. Und kam zu dem Schluss - und damit zu einem Auftrag an sich selbst, die Publizistin, Journalistin, Philosophin - dass, wenn das von Menschen erfahrene Leid nicht beschrieben, bezeugt würde, Diktatoren und Folterer obsiegen würden.
Sie reiste nach Afghanistan, Pakistan, Kosovo, Iraq, Kolumbien, Libanon, Nicaragua, Israel/Palästina, Ägypten und schrieb und schreibt die Geschichten jener Menschen auf, die mit extremen Unrecht und Gewalt konfrontiert waren und sind.
Seit 2007 macht sie das als freie Publizistin, u.a. auch für die renommierte Wochenzeitschrift DIE ZEIT.
An der Schaubühne Berlin kuratiert und moderiert Frau Emcke seit 2004 die monatliche Diskussionsveranstaltung "Streitraum" mit zeitrelevanten Themen.
Im Februar 2014 hat sie gemeinsam mit dem Historiker Valentin Groebner Thementage im Berliner "Haus der Kulturen der Welt" kuratiert. Überschrift: "von Krieg erzählen".
Carolin Emcke, geboren 1967 in Mühlheim an der Ruhr, wurde mit zahlreichen renommierten Publizistikpreisen ausgezeichnet, zuletzt 2012 mit dem "Ulrich Wickert-Preis für Kinderrechte".

Service

Carolin Emcke, "Weil es sagbar ist: Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit", S. Fischer Verlag 2013

Carolin Emcke, "Wie wir begehren", S. Fischer Verlag 2012

Carolin Emcke, "Stumme Gewalt. Nachdenken über die RAF", Fischer Verlag 2008

Carolin Emcke, "Von den Kriegen. Briefe an Freunde", Fischer Verlag 2004

Carolin Emcke, "Echoes of Violence. Letters from a War Reporter", Princeton Univ. Press 2007

Anna Achmatova, Ulla Hahn (Hrsg.) "Liebesgedichte", Übersetzung von Kay Borowsky, Reclam-Verlag 2013

Sendereihe