Gedanken für den Tag

5. Juli 2014, 06:56

Dieses heißt Schicksal: gegenüber sein
und nichts als das und immer gegenüber.

Rainer Maria Rilke hat in zwei Zeilen verdichtet, was die modernen Väter des Dialogs auf ihre Weise auf den Punkt brachten. David Bohm, indem er vom Paradox im Menschen spricht, vom Gegensatz, der in uns angelegt und für immer unlösbar ist. Martin Buber spricht vom zweifachen Ich, das erst im Du zum Menschen wird. Und nicht nur die großen Denker und Poeten, nein, wir alle wissen darum: Wir sind auf seltsame Weise getrennt - und doch vereint in der Sehnsucht nach Verständigung. Eins werden, ganz und gar, das können wir nicht. Doch die Gnade, die uns gegeben ist, besteht darin, dass wir immer wieder in Berührung kommen können mit dem Gefühl universeller Verbundenheit. Nicht nur als Eremiten. Auch mit, auch mitten unter Menschen.

Es ist nicht ganz einfach, nicht selbstverständlich die Schwelle zum Raum der Verbundenheit zu überschreiten. Ein kleiner Tod - so fühlt es sich an, wenn wir die beruflichen und privaten Masken, die uns im Alltag Sicherheit schenken, ablegen, wenn wir uns persönlich, verletzlich und unfertig zeigen. Die Erfahrung im Dialog macht mir Mut: Viele haben die Sehnsucht nach diesem Raum, den der Mystiker Rumi "jenseits von Richtig und Falsch" verortet. Wir sind nicht allein, solange es andere gibt, die diese Sehnsucht mit uns teilen. Gegenüber. Nicht gegeneinander. Das ist es, was ich unter Demut verstehe. So lautet die tiefe, fundamentale Botschaft gelebten Dialogs.

Service

CD, Ulrich Reinthaller, "Rilke. Duineser Elegien I - V", ORF

Dialogikum Phönixberg 2014

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