Zwischenruf

von Pfarrer Michael Chalupka (Wien)

Die Entscheidung zwischen Totalitarismus und Pluralismus

Wozu noch Gott? Wenn in Gottes Namen Menschen geköpft, Frauen vergewaltigt und ganze Völker vertrieben werden. Wäre es nicht verlockend, Gott einfach abzuschaffen, eine no-God-Zone einzurichten, in der sich niemand mehr auf seinen Glauben berufen kann, um totalitäre Ansichten und Absichten religiös zu legitimieren. Es ist nicht nur verlockend, sondern es ist richtig: Die Welt braucht keinen Gott der rachsüchtig ist, der exklusiv sein Recht einfordert, der verdammt und vernichtet wie es ihm einfällt, und sich dazu Horden fanatischer Gotteskrieger bedient. Einen solchen Gott braucht die Welt nicht.

Einen Gott aber, der barmherzig ist, der vergibt und versöhnt, der andere nicht ausschließt, sondern uns befähigt, auf andere zuzugehen - den braucht die Welt dringender denn je.

Es geht also nicht um Gott ja oder nein. Es geht ums Gottesbild - und mit ihm ums Menschenbild. Und Gottes- und Menschenbild können sich wandeln. Das zeigt eine Geschichte aus dem Alten Testament: die Geschichte vom Propheten Jona, dem Propheten, dessen Grabmal von den IS Milizen geschändet und dessen Moschee in die Luft gejagt wurde. Sie ist auch deshalb interessant, weil Jona allen drei abrahamitischen Weltreligionen - dem Judentum, dem Christentum und dem Islam - als Prophet gilt.

Jona sollte der Stadt Ninive, nahe dem heutigen Mosul gelegen, im Namen Gottes den Untergang predigen. Jona weigerte sich, floh vor Gott aufs Meer, wurde vom großen Fisch wieder zurückgeholt und rief schließlich die Bevölkerung von Ninive zur Umkehr auf.

Und es geschah das Wunder: Die Bewohner von Ninive bekehrten sich. Gott freute sich und zeigte sich barmherzig. Er vergab ihnen und bestrafte sie nicht. Das wiederum machte Jona wütend. Denn in seinem Herzen war er ein religiöser Eiferer, der die Ungläubigen lieber tot als lebendig gesehen hätte. Gott aber zeigte sich auch Jona gegenüber barmherzig und verzieh ihm seinen Starrsinn.

Die Geschichte von Jona ist eine Geschichte von Gottes Barmherzigkeit. Das Bild vom rachsüchtigen Gott macht einem Bild Platz, das Gott als einen zeigt, der auf der Seite der Menschen steht und sich ihrer erbarmt. Wird Gott am Anfang der Geschichte noch als einer beschrieben, der dem sündigen Volk mit der Vernichtung droht, so ist er am Ende der Erzählung einer, der zum Mitgefühl fähig ist und Abstand nimmt von seinen Racheplänen. Von einem wütenden Gott des Todes wandelt er sich zu einem Gott des Lebens.

Das Erstaunliche dabei: Gott macht einen Lernprozess durch. Und er lernt schneller und bereitwilliger als Jona, dass Grausamkeit und Strafe nicht der Weg sind. Denn der Prophet verharrt in seinem Totalitarismus, in seiner selbstgerechten Pose des strafenden Gotteskriegers. Er will die Barmherzigkeit Gottes nicht akzeptieren. Er fühlt sich von Gott verraten und verkauft. Lieber möchte er sterben, als die Gewissheit, die ein Rachegott ihm gegeben hat, einzutauschen gegen den scheinbaren Wankelmut eines Gottes, der barmherzig ist und sich der Schwachen erbarmt. Das Menschenbild, so erzählt uns die Jonaparabel, ist schwerer zu verändern als das Gottesbild.

Deshalb ist es kein Weg, Gott einfach abzuschaffen. Denn die Menschenbilder bleiben. Menschenbilder, die die eigenen Überzeugungen absolut stellen und andere zu Untermenschen und Ungeziefer erklären, um sie bedenkenlos hinzuschlachten, die gibt es auch ohne Gott - das wissen wir spätestens seit dem Nationalsozialismus, dem Stalinismus oder den Gräueltaten Pol Pots. Und umgekehrt haben die Religionen das Potenzial, ein Menschenbild zu verkünden, das sich orientiert an "Gerechtigkeit, Freundlichkeit, Religionsfreiheit und Koexistenz" - wie es in den letzten Wochen der Sprecher der Organisation Islamischer Staaten getan und damit dem sogenannten Kalifat des sogenannten "Islamischen Staates" die Legitimität abgesprochen hat.

Alle Religionen stehen immer wieder vor der Wahl, sich zwischen Pluralismus, Gewaltfreiheit und Offenheit oder Totalitarismus, Gewalt und sektiererischem Monopolanspruch zu entscheiden. Darum geht es aber nicht nur in den Religionen, sondern auch in allen säkularen Ideologien und Weltanschaungen. Pluralismusfähig zu werden - darum geht es. Und nicht um Gott ja oder nein.

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