Radiodoktor - Medizin und Gesundheit

Das Wahlarztsystem in Österreich - Vom Ladenhüter zum Topseller?!


Bis vor kurzem wurden Ärztinnen und Ärzte am Land fast bemitleidet, wenn es ihnen nicht gelang, rasch einen den Lebensunterhalt sichernden Gebietskrankenkassen-Vertrag zu erheischen und sie "nur" die kleinen Kassen als Vertragspartner hatten. Dieses Bild hat sich gründlich gewandelt.
Bereits jeder vierte Patient in Wien ist in Behandlung bei einem Privatarzt, auch in anderen Bundesländern nehmen die Zahlen zu. Kritiker meinen, dass das den öffentlichen Krankenkassen gar nicht unrecht ist. Zwar zahlen sie auch Behandlungen bei Wahlärzten - übernehmen aber nur einen Teil der Kosten und auch dann nur, wenn die Patienten die Rechnungen zur Bezahlung einreichen. In Wien liegt die Rückerstattung etwa bei 80 Prozent - allerdings des Kassentarifes. Ein Wahlarzt verlangt in der Regel mehr - die Differenz zahlt der Patient - oder eine private Zusatzversicherung, falls er denn eine hat.
Neben dem öffentlichen System gibt es also noch ein zweites, privates. Zugang hat dort, wer es sich leisten kann. Zwei-Klassen-Medizin durch die Hintertüre. Wahlärzte betonen, dass sie sich mehr Zeit nehmen können, als im starren Kassensystem, wo jede Behandlung vorgegeben ist. Den Patienten winken kürzere Wartezeiten und Zusatzangebote - etwa im komplementärmedizinischen Bereich. Die Krankenkassen wiederum argumentieren mit der Basisabsicherung für alle und locken Ärzte mit dem nahezu unkündbaren Kassenvertrag, was einer Pragmatisierung gleich kommt. Dennoch können immer öfter Kassenstellen nicht nachbesetzt werden.
Ärzte und Patienten zieht es in den Privatbereich: Allein in Wien ist seit Ende 2010 die Zahl der Wahlärzte um 348 auf 2.827 geklettert. Zum Vergleich: Derzeit ordinieren in der Bundeshauptstadt 1.577 Kassenärzte - 779 Allgemeinmediziner und 798 Fachärzte. Im Jahr 2000 waren es laut Ärztekammer noch 1.668. Ähnlich die Situation in den Bundesländern: In Niederösterreich gibt es rund 1.300 Ärzte mit Kassenvertrag und 1.900 Wahlärzte. Auch die Inanspruchnahme steigt: Laut Hauptverband der Sozialversicherungsträger stiegen die Ausgaben für Kassenärzte von 2000 bis 2012 um 35 Prozent, während sie für Wahlärzte um 165 Prozent gestiegen sind. Allerdings täuscht diese Zahl, denn absolut liegen die Ausgaben für Kassenmediziner mit 2,2 Milliarden Euro im Jahr 2012 immer noch deutlich über jenen für Wahlärzte (138 Millionen).

Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger diskutiert dieses Mal zusammen mit seinen Studiogästen warum immer mehr Ärzte lieber privat abrechnen und auf den Kassenvertrag verzichten, während die Krankenkassen bereits mit einem Nachwuchsmangel an Ärzten kämpfen und Kassenvertragsstellen nicht mehr nachbesetzen können. Und vor allem geht er das Frage nach, was das System den Patienten bringt: Zwei-Klassen-Medizin oder bessere Angebote?

Eine Sendung von Martin Rümmele.
Redaktion: Christoph Leprich

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Wahlarztsystem in Österreich
Wahlarztsystem in Wien
Kostenerstattung der WGKK
Gesundheitsministerium zur Versorgungssituation
Ärztetarife der Privatversicherungen: Wiener Städtische
Ärztetarife der Privatversicherungen: Uniqa
Tarife Wiener Ärztekammer

Christoph Reisner, "WahlArzt in Österreich: Überlebensstrategien im Gesundheitssystem von morgen", Springer Verlag 2006

Gerhard Flenreiss, Martin Rümmele, "Medizin vom Fließband. Die Industrialisierung der Gesundheitsversorgung und ihre Folgen", Springer Verlag 2007

Matthias Kettner, "Wunscherfüllende Medizin: Ärztliche Behandlung im Dienst von Selbstverwirklichung und Lebensplanung", Campus Verlag 2009

Gerhard Pöttler, "Gesundheitswesen in Österreich, 2. Auflage inklusive Gesundheitsreform",
Goldegg Verlag 2014

Andrea Kdolsky, "Hauptsache gesund: Die unheilbaren Krankheiten des österreichischen Gesundheitswesens", Goldegg Verlag 2012

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