Gedanken für den Tag

von Martin Schwab, Schauspieler. "Gleichnisse zum Leben schaffen" - Gedanken nicht nur für den Tag. Gestaltung: Alexandra Mantler

Das Wort "warten" ist ein sehr reiches, bedeutungsvolles Wort. Es kommt aus der Stille heraus: abwarten, zuwarten. Es bedeutet auch pflegen, schützen: Torwart, die Wartburg, der Wartesaal.

Auf dem Theater gibt es das berühmte, kostbare, zeitlose Stück von Samuel Beckett "Warten auf Godot". Wladimir und Estragon warten. Ja, auf was? Auf wen? Auf das Unheil? Auf die Strafe? Auf die Liebe? Auf die Erlösung? Auf einen neuen Sinn im Leben?

Von Luise Rinser stammt folgende Geschichte:

"Als ich ein junges Mädchen war, stand ich jeden Morgen auf der Türschwelle, schaute die Straße entlang und wartete auf irgend etwas, nichts Bestimmtes; ich wartete nicht ungeduldig, sondern gläubig und freudig, obgleich ich, schwermütig von Natur, schon wusste, dass weit wahrscheinlicher Schmerz als Freude kommen würde. Das Warten aber, das Erwarten erfuhr ich als Freude. Indem ich wartete, spürte ich mich leben. Dieses Türschwellen-Gefühl habe ich mir bewahrt. Ich warte auch heute noch. Ich erwarte weder Glück noch Leid noch Erfüllung meiner Wünsche. Ich warte nicht etwa, weil mir das jeweils Gegenwärtige nichts bedeutete und ich immer nur auf Kommendes hin gespannt wäre. Nein; ich lebe jede Stunde ganz, in ihrer Eigenart und mit ihrem besonderen Gewicht. Aber ich versuche nicht, sie festzuhalten, wenn sie schön ist, denn ich weiß sie unsterblich eingebettet ins Unsterbliche. Ich erfahre sie zugleich als einmalig und daher unwiederbringlich vergehend, als je einmalige Gelegenheit zum Gehorchen, zum Lieben, zum Mich-Bewähren, zur Anbetung; aber auch als ewig, da nichts zu Nichts wird. So also trägt und nährt mich die Erfahrung von der Unzerstörbarkeit allen Seins und Geschehens und damit meines eigenen Nicht-Verlorenseins. Ich erfahre mich als im Zeitlichen und Ewigen geborgen."

Service

Buch, Friedrich Schorlemmer, "Das soll Dir bleiben: Texte für morgens und abends", Radius Verlag

Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach/1685 - 1750
Titel: Sonate für Flöte und Cembalo in d-moll BWV 527 / Bearbeitung (original Triosonate Nr.3 für Orgel)
* Andante - 1.Satz; Adagio e dolce - 2.Satz; Vivace - 3.Satz
Solist/Solistin: Aurele Nicolet /Flöte
Solist/Solistin: Michio Kobayashi /Cembalo
Länge: 02:00 min
Label: Denon 38C377058

weiteren Inhalt einblenden