Zwischenruf

von Superintendent Olivier Dantine (Innsbruck)

Wieder geht ein Gespenst um. Das christliche Abendland sei bedroht. Wieder oder noch immer wird die Bedrohung durch eine zunehmende Islamisierung in Europa heraufbeschworen. Woran auch immer diese Islamisierung festgemacht wird. Die reinen Zahlen sind es nicht. Ganz im Gegenteil. In den Hochburgen der Proteste gegen die angebliche Islamisierung des Abendlandes, die in Deutschland kurz vor Weihnachten viel Aufsehen erregt haben, ist die Zahl der muslimischen Einwohner besonders niedrig. In Österreich, wo offenbar auch Demonstrationen dieser Bewegung geplant sind, sind Muslime zwar mittlerweile die größte religiöse Minderheit, aber eben eine Minderheit.

Ich lese und höre davon, dass in dieser Bewegung von so genannten patriotischen Europäern und Verteidigern des christlichen Abendlandes nicht nur Rechtsradikale vertreten sind, diese sogar eine Minderheit darstellen. Ich frage mich, ob mich diese Nachricht beruhigen soll. Das tut sie nicht. Es sind offenbar auch nicht nur Modernisierungsverlierer dabei, denn man sieht in diesen Demonstrationen auch gut situierte und gebildete Menschen. Die Islamfeindlichkeit findet sich in der Mitte der Gesellschaft.

Mir macht das große Sorgen. Denn ich versuche mir vorzustellen, was es für Muslime bedeutet, die sich in unserer Gesellschaft beheimatet fühlen. Ich habe sie kennengelernt: Muslime, die durchaus auch mit einem kritischen Blick auf die eigenen Traditionen versuchen, eine europäische Ausrichtung des Islam auf die Beine zu stellen: Anerkennung der Menschenrechte und der Demokratie, Trennung von Religion und Staat, Dialog mit anderen Religionen. Was muss in ihnen vorgehen, wenn von Verteidigern des christlichen Abendlandes pauschal behauptet wird, der Islam lasse sich mit westlichen Werten gar nicht in Einklang bringen? Und mehr noch: Was für einen Stand haben offene und dialogbereite Muslime innerhalb der muslimischen Gemeinschaft, wenn Muslime merken, dass solche Bemühungen ohnehin gar nichts bringen, und Muslime immer als Fremde in Europa wahrgenommen werden, egal seit wie vielen Generationen sie schon bei uns leben? Ich befürchte, dass der Graben zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen genau durch jene, die diesen Graben herbeireden, tatsächlich tiefer wird. Ich habe kein schnell wirksames Patentrezept gegen die Radikalisierung von Gruppen, aber ich kenne ein schon oft bewährtes Rezept für Radikalisierung: Es ist die Ausgrenzung von Minderheiten.

Was mich an dieser Geschichte aber besonders betroffen macht ist, wie zur Abwehr der angeblichen Islamisierung selbstverständlich eine wie auch immer verstandene christliche Kultur in Beschlag genommen wird. Christentum als Waffe zur Ausgrenzung von Menschen anderen Glaubens? Mehr noch: Die angebliche Bedrohung durch Islamisierung wird ja auch an der Zunahme von Flüchtlingen aus muslimischen Ländern festgemacht: Christliche Kultur zur Abwehr von Flüchtlingen? Das macht mich zornig, denn es ist eine Pervertierung des biblischen Menschenbildes, das von der Gottebenbildlichkeit jedes einzelnen Menschen ausgeht. Jeder Mensch hat unverlierbare Würde. Der Nächste, dem nach einem wichtigen biblischen Gebot meine Liebe gilt, ist eben nicht der, den ich mir aussuche, sondern derjenige, auf den ich treffe, der meine Hilfe braucht und meinen Respekt verdient.

Aber vielleicht ist ja das genau das Problem an dieser Bewegung zur Verteidigung des christlichen Abendlandes: Dem, was sie christlich nennen, fehlt die Wurzel. Sie ist im säkularisierten Europa erodiert. Übrig bleibt ein diffuses Gefühl, dass unsere Lebensweise etwas mit christlicher Kultur zu tun haben muss. Und weil diesem Gefühl die Wurzel fehlt, wird eine fremde Religion umso mehr als Bedrohung gesehen.

Das wäre doch eine Antwort auf die immer größere kulturelle und religiöse Vielfalt in unserer Gesellschaft: Wieder fester in der eigenen religiösen Tradition verwurzelt zu sein. So brauche ich keine Angst davor zu haben, dass mir meine Tradition bloß durch die Anwesenheit des Fremden genommen wird. Ohne diese Angst kann ich in Dialog treten mit Menschen aus anderen Kulturen und Religionen. Ich kann mit ihnen ins Gespräch kommen zum Beispiel darüber, warum mir die Gleichstellung der Frauen oder die Akzeptanz gleichgeschlechtlich liebender Menschen wichtig ist. Denn das werde ich nie aufgeben: Meinen Glauben an den menschenfreundlichen Gott, der jegliche Grenzen überwindet und Menschen zusammen bringt.

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