Gedanken für den Tag

22. Jänner 2015, 06:56

ENGEL UND STERNE

Else Lasker-Schüler ist meist "außer sich" gewesen: im Lieben und im Hassen, im Beten und im Leiden. So ist sie auf die Engel gestoßen. Wenn Else Lasker-Schüler von Engeln gesprochen hat, dann waren immer geliebte Menschen gemeint, zum Beispiel ihre früh verstorbene Mutter: "Sterb ich am Wegrand wo,/ Liebe Mutter,/ - heißt es in einem Gedicht, - Kommst du und hebst mich / Auf deinen Flügeln zum Himmel..."

Als ihr kaum dreißigjähriger Sohn an Tuberkulose stirbt, das heißgeliebte Kind, geboren zwischen zwei gescheiterten Eheversuchen, sieht sie "auch die Engel im Weinen, im Wind und im Schneeregen."

Von den zahlreichen Freunden war ihr Franz Marc einer der liebsten, der Blaue Reiter und Tiermaler; als er 1916 im Krieg gefallen war schreibt sie: "Seinen Riesenkörper tragen große Engel zu Gott."

Sie war auch eine "sterngläubige" Dichterin, gläubig an den Stern der Erwählung und an den Stern der Erlösung; in Briefen hat sie in der Anrede über die Namen meist einen Stern gezeichnet. So hat sie ihre Freunde gesegnet.

In dem berühmten Gedicht "Mein blaues Klavier", will sie noch einmal die glückliche Kindheit finden - aber alles Erinnern ist nur mehr Trauer. In der letzten Strophe hat sie sich an die Engel gewandt, schlicht wie der Schlusschoral in Bachs Johannespassion, richtet sie - unter Verweis auf das bittere Brot des Exils - die innige Bitte nach endgültigem Zuhause an die Wächterengel vor dem Tor des himmlischen Jerusalem:

"Ach liebe Engel öffnet mir / - Ich aß vom bitteren Brote -
Mir lebend schon die Himmelstür - / Auch wider dem Verbote."
Auf der Totenmaske von Else Lasker-Schüler umspielt etwas wie ein Lächeln den Mund. So als möchte sie sagen: Ich hab's ja gewusst.

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