Das alte Wien

Ein akustisches Feuilleton zum 150. Geburtstag der Wiener Ringstraße. Von Andreas Kloner

Es ist doch ein äußerst verführerischer Gedanke: Sich in eine Zeitmaschine zu setzen, das Jahr 1827 einzuspeichern - und mitten im Wien der Biedermeierzeit zu landen. Die Chance, auf eine hohe Dichte an heute noch prominenten Zeitgenoss/innen zu stoßen, wäre sehr groß.

Die Stadtmauer - ein wuchtiger Wall
Doch bevor es dazu kommt, überwiegt die Neugier des Zeitreisenden, sich jene Gegend anzusehen, an der heute die Ringstraße mit einem beachtlichen Teil der wichtigsten architektonischen Meisterwerke der Stadt, wi

Flanieren auf der Bastei
Dieses auf den ersten Blick kalte und unfreundlich wirkende Mauerwerk ist aber schon längst Freizeitvergnügen der Wiener Biedermeierbevölkerung geworden. Es gehört zum guten Brauch der "besseren" Gesellschaft, sich auf den inzwischen begrünten Stadtmauern in längeren Sonntagsausflügen zu ergehen. Von den Einwohner/innen wird diese über der Stadt thronende Flaniermeile liebevoll "Bastei" genannt.

In ausladenden Parkanlagen und exquisiten Kaffeehäusern, die zu dieser Zeit vornehmlich von italienischen Zuwanderern wie Corti oder Milani betrieben werden, lassen sich Bürgerinnen und Bürger sowie Adelige dabei zusehen, wie sie in den Schanigarten ihr "Gefrorenes", eine frühe Form der heutigen Eisdesserts, verzehren.

Beethoven liegt im Sterben
Um Ludwig van Beethoven auf der "Bastei" flanieren zu sehen, dafür ist der Zeitreisende zu spät im alten Wien gelandet. Der Komponist liegt im Frühjahr 1827 bereits im Sterben. Die Wiener Zeitung vermeldet, die Wassersucht sei es gewesen, die den genialen Tonsetzer am 27. Marz in seinem 57. Lebensjahr dahinraffte. Erst neuere wissenschaftliche Untersuchungen werden ergeben, dass Beethoven von seinem Leibarzt mit schwer toxischen Bleipflastern regelrecht vergiftet worden ist.

Die Leichenfeier vor dem Sterbehaus knapp außerhalb der Stadtmauern wird zum öffentlichen Spektakel, welches den Stellenwert, den Beethoven bereits zu Lebzeiten einnahm, widerspiegelt: Mehr als 20.000 schaulustige Wienerinnen und Wiener haben sich eingefunden, um einen letzten Blick auf den Sarg zu erhaschen.

Schubert komponiert die Winterreise
Einer der 36 Fackelträger, ein nicht gerader hübscher junger Mann mit untersetzter Statur, aufgedunsenem Gesicht und schütterem, gekraustem Haar, verweilt vermutlich mit seinen Gedanken bei seinem neuen Projekt, einem Liederzyklus mit dem Titel Winterreise.

Ohne Zweifel gehörte Franz Schubert neben Beethoven zu den besten Komponisten der Stadt. Begegnet sind sich die beiden zu Lebzeiten allerdings nie. Zu groß war der Altersunterschied zwischen ihnen; zu misanthropisch war der gehörlose Beethoven in seinen letzten Lebensjahren geworden. Anderthalb Jahre nach Beethovens Tod wird sein junger Kollege ihm nachfolgen. Ob an "Nervenfieber", verschleppter Syphilis oder akuter Pilzvergiftung wird ungeklärt bleiben.

Sendereihe