Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer. "Arbeit an der Zukunft" - Zum 10. Todestag des Schriftstellers Carl Amery. Gestaltung: Alexandra Mantler

Linkskatholik, bayerischer Weltbürger oder ökologischer Vordenker waren Etiketten, die man Carl Amery gerne umhängte. Der vor zehn Jahren verstorbene Schriftsteller mochte sie nicht, er wehrte sich gegen handliche Kurzformeln, auch wenn es um ihn selbst ging. Carl Amery hatte bereits zeitkritische Romane wie "Die große Deutsche Tour" geschrieben, als er 1963 einer großen Öffentlichkeit bekannt wurde - mit seinem Essay "Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute". Dass die Deutsche Bischofskonferenz daraufhin gegen ihn und gegen Heinrich Böll, von dem das Nachwort zu diesem Buch stammt, einen eigenen Hirtenbrief verfasste, hat Amery immer wieder lachend zum Besten gegeben.

Carl Amerys These war: Eine Vorherrschaft "zweitrangiger Werte und Tugenden" hat die katholische Kirche seit Jahrhunderten zur "Absprache" anstatt zur "prinzipiellen Auseinandersetzung" mit den herrschenden Mächten gedrängt und der Klerus hat jegliche Rebellion verketzert, den Untertanengeist gefördert sowie Obrigkeit und Privateigentum unzulässig sanktioniert. Besonders verhängnisvoll wurde das mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus. Amery interpretiert die Unterwerfung des deutschen Katholizismus unter das Hitler-Regime als eine Kapitulation des bürgerlich-katholischen Milieus und schreibt: "Die große Mehrheit derer, die man noch gutgesinnt nennen mochte, verweigerte von Anfang an die Widerstandsarbeit; besser gesagt, sie war gar nicht imstande dazu, weil ihr die seelischen und moralischen Voraussetzungen völlig fehlten." Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg kritisierte Amery die feste Bindung des deutschen Katholizismus an die Interessen und Vorurteile der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft. Besonders das Einverständnis des katholischen Milieus mit der Wiederbewaffnung und die positiven Gutachten katholischer Theologen zur Atombewaffnung waren ihm ein Dorn im Auge.

Auch wenn der österreichische Katholizismus seine eigene Entwicklung genommen hat und Amerys Charakterisierung ihn nicht in allen Punkten trifft, so hat mir seine schonungslose Analyse des Milieu-Katholizismus die Augen geöffnet und mich meine eigene Herkunft besser verstehen lassen - lange bevor ich Carl Amery persönlich kennengelernt habe.

Service

Buch, Carl Amery, "Arbeit an der Zukunft", Sammlung Luchterhand
Buch, Carl Amery, "Global Exit. Die Kirchen und der Totale Markt", btb-Taschenbuch
Buch, Carl Amery, "Hitler als Vorläufer", Sammlung Luchterhand
Buch, Carl Amery, "Die Wallfahrer", Sammlung Luchterhand
Buch, Carl Amery, "Das Geheimnis der Krypta", Sammlung Luchterhand

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Maurice Ravel/1875 - 1937
Album: INTRODUCING NEW YORK LEGENDS WITH PRINCIPAL PLAYERS FROM THE NEW YORK PHILHARMONIC
Titel: Piece en forme de Habanera / Bearbeitung für Fagott und Klavier (orig. für Singstimme und Klavier als "Vocalise en forme...")
Solist/Solistin: Judith LeClair /Fagott
Solist/Solistin: Jonathan Feldman /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Cala Records CACD 0111

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