Gedanken für den Tag

von Josef Leitner, Theologe, Personalleiter und Universitätslektor. "Kultur des Reisens". Gestaltung: Alexandra Mantler

Stefan Zweig sagte, wir reisen, um das Unbekannte zu riskieren und nach anderen Ländern, anderen Leben, anderen Seelen zu suchen. In den Kulturen der Welt werden besondere Phasen des Lebens wie Geburt, Erwachsenwerden oder Tod in unterschiedlicher Weise zelebriert. Ich bin diesmal mit meiner Familie auf Reisen. Wir befinden uns in Ubud, mitten in Bali - einer hinduistisch geprägten Insel in Indonesien - dem größten muslimischen Land der Welt. Hier werden wir Zeugen einer besonderen Begräbniszeremonie. Zunächst ist laute Musik zu hören - Gamelan - das traditionelle Schlagwerk erklingt. Ein mehrere Kilometer langer Trauerzug nähert sich - volksfestartig, heiter, mit lauten Gesängen. Die Verstorbene - wie wir erfahren - eine sehr reiche alte Frau - befindet sich in einem siebenstöckigen kunstvoll gestalteten Turm aus Holz, der von vierzig Männern getragen wird. Das 10 Meter hohe Konstrukt reißt alle Telefon- und Stromkabel der Hauptstraße nieder. Es ist viel wichtiger, würdig ins andere Leben verabschiedet zu werden, als einige Tage keinen Strom zu haben. Immer wieder wird der Sarkophag gedreht und geschüttelt, damit die Seele der Toten nicht mehr den Weg zurück ins Dorf und ins Haus finden kann. Ebenfalls im Begräbniszug befindet sich die riesenhafte Statue eines Stieres - ähnlich wie man sich das Trojanische Pferd vorstellen kann. Beim eigentlichen Begräbnis wird der Rücken dieses Holzstieres geöffnet und der in Tücher gewickelte Leichnam wird - begleitet von rituellen Handlungen - hineingelegt. Die Trauergäste verabschieden sich mit kleinen Geschenken wie Blumen von der Verstorbenen. Dann wird der hölzerne Stier angezündet und gemeinsam mit dem Leichnam verbrannt. Die Seele löst sich von ihrem irdischen Dasein und wird frei für die nächste Wiedergeburt, so der Glaube der Menschen hier. Heiter wie ein großes Picknick endet die Totenfeier. Wir sind fast benommen von den so ganz anderen Eindrücken. Es ist ein Staunen, das uns in neuer Weise zu uns selbst und gleichzeitig über uns hinausführt.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Colin McPhee/1900 - 1964
Album: HOMMAGE A WALTER SPIES: STEFFEN SCHLEIERMACHER - MODERNE KLAVIERMUSIK
Titel: Lagu Delem - Gamelan Transkription für Klavier
Solist/Solistin: Steffen Schleiermacher /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: MDG Scene 61311712

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