Zwischenruf

von Dr. Christoph Weist (Wien)

Die fremde Frau

Hochzeiten haben in diesen Sommerwochen Hoch-Zeit. Bei kirchlichen Trauungen sind Trausprüche üblich. Ein beliebter Trauspruch stammt aus dem Alten Testament, aus dem kleinen Buch Rut. Die alte hebräische Novelle erzählt in ihrem ersten Teil - ganz kurz gesagt - davon, dass Rut, die Moabiterin aus dem Ostjordanland, ihre verwitwete Schwiegermutter Naemi in deren Heimat nach Betlehem im Lande Juda begleitet. Auf dem Weg will Naemi ihre Schwiegertochter zurückschicken ins Land Moab. Doch Rut antwortet mit den Sätzen:

Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Jahwe tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden. (Rut 1,16b-17)

Das sind starke, eigentlich radikale Worte. In den Internet-Ratgebern für die Gestaltung von Trauungen werden sie immer wieder als Motto für den Gottesdienst empfohlen. Aus Erfahrung als Pfarrer weiß ich aber: Kaum ein Brautpaar oder ein Hochzeitsgast ist sich darüber im Klaren, welche hochaktuelle Brisanz hinter diesen so romantisch klingenden Sätzen steckt. Eine Brisanz, die weit über die Liebe zwischen zwei Partner hinausgeht. Eine Brisanz, die auch noch heute, gerade heute, eine ganze Gesellschaft in Atem hält.

Das Buch Rut ist von einem unbekannten Autor geschrieben worden wohl um das Jahr 550 vor Christus. Die Perser, die damals Herrscher über den Vorderen Orient waren, hatten eine langsame Rückkehr des Volkes Israel aus der etwa fünfzigjährigen

Verbannung in Babylon zugelassen. Auch Nehemia, dem jüdischen Mundschenk des persischen Königs Artaxerxes, wird die Rückkehr nach Jerusalem gestattet mit dem Auftrag, die Verhältnisse dort zu stabilisieren. Er trifft verschiedene Maßnahmen zur besseren Verwaltung und er verbietet die Ehe mit ausländischen Frauen, wohl weniger aus rassistischen Gründen, denn aus Gründen eines komplizierten Erbrechts.

Und dagegen dürfte sich Opposition geregt haben: So sollte man mit so genannten "Mischehen", ja überhaupt mit "Ausländern" oder "Ausländerinnen" nicht umgehen, egal aus welchen Gründen! Die Erzählung von der Moabiterin Rut ist ein Dokument dieses Widerstands gegen ausländerfeindliche Ausgrenzung, es ist eine Geschichte von der tiefen menschlichen Treue und der Anhänglichkeit einer "Ausländerin": "Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott." Mehr noch: In weiterer Folge erzählt die Geschichte, Rut heiratet einen Israeliten und wird die Stammmutter des großen Königs Davids.

Die Worte, die heute vor dem Traualter sicher aufrichtige Liebe und ein romantisches Verbundenheitsgefühl zum Ausdruck bringen, sind also in Wirklichkeit ein rund zweieinhalbtausend Jahre alter beinharter Protest gegen Ausgrenzung und Xenophobie, ein altes und, wie wir wissen, immer neues Thema.

Über Fremdenfeindlichkeit und ihre weit verästelten Auswirkungen tief in eine Gesellschaft hinein ist schon viel gesagt worden, kühl rational argumentierend oder in hitziger Emotion. Hier wird ein anderer Weg gewählt: die Botschaft einer künstlerisch einfühlsam gestalteten Erzählung voller Poesie. Die Treue der Moabiterin Rut kann Vorbild für eine glückliche Ehe sein. Vor allem aber hält die alte Geschichte eines fest: Ausländer und Fremde genießen den Schutz des Gottes Israels und der ist auch der Gott der Christinnen und Christen. Ein freundlicher Hinweis der Bibel auf etwas, das alle Tage alle angeht und an das nicht oft genug erinnert werden kann.

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