Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer. "Schattenland, Ströme" - Zum 50. Todestag des Schriftstellers Johannes Bobrowski. Gestaltung: Alexandra Mantler

Heute vor 50 Jahren ist in Ostberlin der Schriftsteller Johannes Bobrowski verstorben. Er stammt aus Tilsit, jener ostpreußischen Stadt, die die meisten nur mehr von ihrem Käse kennen und die heute im Kaliningrader Gebiet der Sowjetunion liegt und Sowjetsk heißt. In Königsberg hat Bobrowski das Gymnasium besucht, danach konnte er ein Jahr in Berlin studieren. Eine Weiterführung des Studiums wäre mit dem Eintritt in die NSDAP verbunden gewesen, also meldete sich Bobrowski lieber zur Wehrmacht. Er kam aus der Bekennenden Kirche, sein evangelischer Glaube war ihm Rückhalt gegen den Nationalsozialismus.

Nach dem Krieg hat er seinen Geburtstag nie mehr groß mit Freunden gefeiert, denn der Geburtstag war am 9. April, und am 9. April 1945 wurde der protestantische Theologie Dietrich Bonhoeffer von den Nazis hingerichtet.

Aktive Fronterfahrungen blieben Johannes Bobrowski erspart, nicht jedoch die russische Kriegsgefangenschaft. Danach wurde er Verlagslektor in Ostberlin. Sein Auftreten als Schriftsteller beschränkte sich auf die letzten fünf Jahre seines Lebens, auch die bald in viele Sprachen übersetzten Gedichtbände, Erzählungen und Romane erschienen in dieser kurzen Zeit oder erst nach seinem Tod mit nur 48 Jahren.

Liest man die Erinnerungen seines Dichterfreundes Christoph Meckel, so weiß man, dass Johannes Bobrowski nicht nur dadurch ums Leben kam, dass er seine vom Blinddarm herrührenden Bauchschmerzen nicht untersuchen ließ. Er war schon davor gefährdet durch Überanstrengung, Alkohol, Depressionen und durch die Belastung des Ruhms. "Wenn es ihm schlecht ging", schreibt Christoph Meckel, "saß er am Clavichord und beruhigte sich mit Haydn und Buxtehude, die Anwesenheit der Freunde störte ihn nicht". Auf die Komponisten Dietrich Buxtehude und Johann Sebastian Bach hat Bobrowski sogar ein Gedicht geschrieben, in der Musik der Renaissance und des Barock war er zu Hause.

Oft habe ich die Fotos von Bobrowski an seinem Clavichord gesehen. Vor wenigen Monaten bin ich dann selbst vor diesem Clavichord gestanden - im Bobrowski-Museum der litauischen Kleinstadt Vilkyskai. Ich durfte ein paar Töne anschlagen und seinen verhaltenen Klang hören - zitternd vor Erregung, dem Menschen Johannes Bobrowski einmal so nahe zu kommen.

Service

Buch, Johannes Bobrowski, "Levins Mühle. 34 Sätze über meinen Großvater", Roman, Verlag Klaus Wagenbach
Buch, Johannes Bobrowski, "Die Erzählungen, Vermischte Prosa und Selbstzeugnisse", Deutsche Verlagsanstalt
Buch, Johannes Bobrowski, "Litauische Claviere", Roman, Reclam Verlag 2009
Buch, Christoph Meckel, "Erinnerung an Johannes Bobrowski", Carl Hanser Verlag

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Carl Philipp Emanuel Bach/1714 - 1788
Gesamttitel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen - 18 Probestücke in 6 Sonaten Wq 63/H 70-75
Titel: Sonate Nr.4 für Clavichord
* Allegretto grazioso in h-moll - 1.Satz (00:04:23)
Solist/Solistin: Armin Thalheim /Clavichord
Länge: 02:00 min
Label: Capriccio 10107

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