Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer. "Schattenland, Ströme" - Zum 50. Todestag des Schriftstellers Johannes Bobrowski. Gestaltung: Alexandra Mantler

Begonnen hat Johannes Bobrowski als Lyriker, aber berühmt geworden ist er durch seinen Roman "Levins Mühle", der jetzt zu seinem 50. Todestag in einer Neuausgabe erscheint. Er spielt im 19. Jahrhundert in jenem Teil Polens, der damals zu Preußen gehörte. Johann, der Großvater des Erzählers, hat die Mühle seines jüdischen Konkurrenten Levin durch die Öffnung der Schleusen seines Stausees weggeschwemmt. Der Erzähler, der sich immer wieder einmischt, seine Figuren anspricht und das Geschehen kommentiert, zeigt einen aggressiven deutschen Nationalismus sowie das Aufeinanderprallen von polnischem Katholizismus und deutschem Protestantismus in verschiedensten Ausprägungen. Ideologie wie Religion werden freilich instrumentalisiert, sie sind nur Kosmetik materieller Interessen.
Am Ende verlassen beide den Ort: Levin, weil er sich kein faires Gerichtsverfahren erwarten kann, und der Großvater, weil sein Image ramponiert ist. Eine bunte Gesellschaft ist singend öffentlich gegen ihn angetreten, angeführt von dem Juden Weiszmantel und dem Außenseiter Habedank, dessen Tochter Marie Levins Geliebte ist; auch nicht alle Deutschen sind auf der Seite des Großvaters.

Mich fasziniert die unverwechselbare Erzählweise dieses großartigen Romans immer wieder. Und ich kann nicht vergessen, wie Weiszmantel am Ende noch in folgender Passage einmal ins Bild kommt: "Da zieht er davon, der alte Weiszmantel. Er wird singen, dort und dort, überall, wo er Unrecht findet, davon gibt es übergenug, er wird also übergenug zu singen bekommen. Manchmal sieht man es nur nicht gleich, weil der Teufel seinen Schwanz drüberhält."

Genau hier liegt die Aktualität des Romans "Levins Mühle" - in der Überwindung nationaler und konfessioneller Grenzen im Eintreten gegen das Unrecht. Darum soll auch der Roman das letzte Wort haben: "Es ist doch da etwas gewesen, das hat es bisher nicht gegeben. Nicht dieses alte Hier-Polen-hier Deutsche oder Hier-Christen-hier-Unchristen, etwas ganz anderes, wir haben es doch gesehen, was reden wir noch. Das ist dagewesen, also geht es nicht mehr fort. Davon wird der Weiszmantel wohl singen. Und Gott wird ihn schützen. Ihm wird es, denke ich, ganz recht sein, so wie es der Weiszmantel macht."

Service

Buch, Johannes Bobrowski, "Levins Mühle. 34 Sätze über meinen Großvater", Roman, Verlag Klaus Wagenbach
Buch, Johannes Bobrowski, "Die Erzählungen, Vermischte Prosa und Selbstzeugnisse", Deutsche Verlagsanstalt
Buch, Johannes Bobrowski, "Litauische Claviere", Roman, Reclam Verlag 2009
Buch, Christoph Meckel, "Erinnerung an Johannes Bobrowski", Carl Hanser Verlag

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Carl Philipp Emanuel Bach/1714 - 1788
Gesamttitel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen - 18 Probestücke in 6 Sonaten Wq 63/H 70-75
* Allegretto tranquillamente in C-Dur - 1.Satz (00:02:43)
Titel: Sonate Nr.1 für Clavichord
Solist/Solistin: Armin Thalheim /Clavichord
Länge: 02:00 min
Label: Capriccio 10107

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