Gedanken für den Tag

von Doris Schretzmayer, Schauspielerin. "Weckruf zum Lernen". Gestaltung: Alexandra Mantler

Ich werde Sie in dieser vor uns liegenden Woche mit Gedanken für den Tag begleiten. Und zum Auftakt möchte ich Ihnen einen vielleicht etwas ungewöhnlichen Einblick geben:

Am Abend vor dem Studioaufnahmetermin, zu dem ich meine sechs Texte für Montag bis Samstag mitbringen sollte, wurde ich nervös und ärgerlich: Ich hatte fünf fertige Texte und fand keinen herausragend und für den sechsten Text konnte ich mich bei einer Auswahl von mehreren Entwürfen noch nicht entscheiden. Immerhin trage ich Verantwortung, dachte ich: Meine Gedanken für den Tag sollen Sie, das Publikum, inspirieren und Ihnen etwas Gutes für den Tag mitgeben.

Ich begann, meine Texte mit den Texten von anderen Gedanken-für-den-Tag-Machern im Internet zu vergleichen und fand, dass sie alle intellektueller und besser waren als meine Zeilen. Ich telefonierte mit zwei meiner engsten Freundinnen und redete mit meinem Mann: Er meinte, Gedanken für den Tag seien ja doch wohl Gedanken und kein philosophisches Manifest. Eine meiner beiden Freundinnen sagte, ich solle die Latte nicht so hoch hängen, die andere sagte, ich solle genau über dieses Thema noch einen Text schreiben.

Es brodelte weiter in mir, ich suchte eine Schuldige und fand sie in der Zeit. Hätte ich früher angefangen zu schreiben, hätten die Texte jetzt mehr Relevanz, hätte ich bloß nicht jedes Mal, wenn ich schreiben wollte, erstmal Hausarbeit erledigt: Wäsche, Geschirr, Einkauf, Kochen. - Kennen Sie das? Sie haben etwas Wichtiges zu tun und plötzlich beginnen Sie, all die Kleinarbeit zu erledigen, die sie sonst so gern liegen lassen. Und wenn ich schon in der letzten Ferienwoche am Meer getippt hätte? Da hatte ich wohl anderes im Sinn gehabt. Und hätte ich in der ersten Schulwoche nicht so viel Zeit mit meinem Sohn verbracht, sondern Kinderbetreuung organisiert - dann hätte ich länger an den Texten feilen können.

"Hätt i, tät i, war i...", hat meine Oma lachend gesagt, wenn jemand die Gegenwart beklagt hat; auf Hochdeutsch: hätte ich, täte ich, wäre ich... ja, was wäre dann? Sie hatte zwei Kriege erlebt, da bleibt nicht viel Zeit, etwas zu beklagen, da geht es nur um das, was jetzt ist.

"Höre, dann lebt deine Seele jetzt", sagt meine Stimmlehrerin immer. Ich atmete tief und hörte: "Es gibt immer Dinge, die du besser machen hättest können. Es gibt immer jemanden, der es besser kann als du. Das Entscheidende ist, das Herz offen zu halten für das, was ist und den Fokus auf das zu legen, was stimmt". Stimmt. Da wurde etwas in mir wieder ruhig. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine Woche mit viel Freude und Dankbarkeit.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Jan A.P. Kaczmarek/geb.1953
Bearbeiter/Bearbeiterin: Jan A.P. Kaczmarek/geb.1953
Bearbeiter/Bearbeiterin: Pezter Golug
Gesamttitel: AIMEE & JAGUAR / Original Filmmusik
Titel: First memories
Orchester: Sinfonia Varsovia
Orchester: Polnisches Radio Orchester
Leitung: Tadeusz Karolak
Länge: 02:00 min
Label: Red Moon/EastWest ew 398426407

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