Zwischenruf

von Pfarrerin Sieglinde Pfänder (Oberwart, Burgenland)

Allerheiligen

Mit zwiespältigen Gefühlen werde ich heute wieder an den Kriegerdenkmalfeiern teilnehmen. Die Feuerwehrleute werden mit ihrem Zug antreten und mit ihnen die letzten Kameraden aus den Kameradschaftsbünden.

Die Vertreterinnen und Vertreter der örtlichen Polizei werden anwesend sein und natürlich die Bürgermeister mit ihren Gemeinderäten und wir, die Pfarrer und Pfarrerinnen der christlichen Konfessionen. Die Musikkapelle wird das Lied "Ich hatte einen Kameraden" spielen und am Ende werden wir alle die Bundeshymne singen. Pflichtbewusst werden wir an die Toten der beiden großen Kriege erinnern, an die Männer, die dazu bereit gewesen sind, bis auf den letzten Tropfen Blut für ihr, pardon, unser Vaterland, zu kämpfen.

Wenige werden sich noch daran erinnern, wer voller Überzeugung und freiwillig und wer von ihnen unfreiwillig in diesen Krieg gezogen ist. Wenige werden sich persönlich daran erinnern können, welchen Tribut ein Krieg fordert . nicht nur von den Soldaten, sondern auch von Frauen, die plötzlich allein da stehen und mit ihrem Leben zurechtkommen müssen, und welche Kraft er Eltern kostet, die ihre Kinder in den Kampf schicken müssen und welche Kraft er auch Kinder kostet, die plötzlich ohne ihre Väter da stehen oder ihre Brüder.
Wir werden an die Schicksale dieser Menschen erinnern, an ihre Begeisterung und ihre Nöte. Und ich werde - immer noch gegen den Willen vieler - auch heuer wieder die Namen der Opfer in den Mund nehmen, die wir dabei so gern vergessen: Roma, Sinti, Juden, Menschen mit Behinderungen, Homosexuelle, Freidenker. Menschen, die die politische Gesinnung der Machthaber nicht teilten. Opfer wurden Menschen. Menschen, die anders waren .

Und natürlich werden wir für den Frieden beten und für die Verantwortung, die jeder und jede von uns hat, um ihn zu bewahren. Wir werden für den Frieden beten, mit dem Kriegerdenkmal im Rücken.

Den Kriegen ein Denkmal zu setzen finde ich persönlich pervers. Denn wo es Krieg gibt, ist das Leben aller nichts wert und damit niemandem heilig. Wo es Krieg gibt, zählen nur das Leben und der Wille einiger Weniger.

Fragen Sie sich nicht auch manchmal, wann wir endlich damit anfangen werden, Denkmäler für den Frieden zu bauen und für den Willen zum Leben und für die Geschwisterlichkeit aller Menschen und für die bunte Vielfalt des Lebens und für die Solidarität?

Ich finde, Allerheiligen könnte der Neubeginn sein für diesen Sinneswandel. Alle(r) Heilig(en) oder: alle sind heilig? Für mich ist ganz klar, dass jeder Mensch heilig ist, weil ich glaube, dass mir in jedem Menschen ein Abbild Gottes begegnet. Konsequenterweise gilt daher für mich, dass auch die Menschen Heilige sind, die derzeit verzweifelt auf der Suche sind nach einer Herberge, nach Heimat, nach Frieden.

Allerdings teilen nicht alle meine Auffassung. Neulich zum Beispiel hat mich ein Mann gefragt: "Warum verstehen Sie mich nicht, Frau Pfarrer? Ich bin Soldat. Ich habe gelernt, dass es meine heiligste Pflicht ist, mein Heimatland zu verteidigen. Jetzt muss ich jeden Tag tatenlos zusehen, wie Massen von Fremden unsere Grenzen stürmen! Wie eine Invasion kommt mir das vor, ein unbefugter, feindlicher Übergriff in unser österreichisches Territorium. Fremde, wo du nur hinschaust. Ich will das nicht. Ich würde lieber bis zum letzten Tropfen Blut kämpfen, als tatenlos hinzunehmen, dass Österreich derartig überrollt wird."

Allerheiligen

Jeder Mensch ist heilig. Jeder Mensch hat das Recht auf seine eigene Meinung, seine persönliche Haltung, solange er damit keinem anderen schadet. Vielleicht spüren Sie, wie schwer es mir fällt, gerade in dieser Frage tolerant zu sein. Aber es ist mir natürlich klar, dass wir als Demokratinnen ein Leben lang lernen müssen, Gegensätze auszuhalten und uns ehrlich darum bemühen sollten, zwischen unseren unterschiedlichen Weltanschauungen Brücken zu bauen - wenn wir den Wert des Lebens und damit den Wert eines jeden Menschen schätzen möchten.

Für mich ist jeder Mensch heilig. Ganz egal wie er aussieht, ganz egal woher er kommt, ganz egal, welche Sprache er spricht oder zu welcher Religion oder Weltanschauung er sich bekennt. Allerheiligen könnte der Anlass sein, mehr Toleranz einzuüben.

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