Zwischenruf

von Oberkirchenrat Johannes Wittich (Wien)

Das Tempo bestimme ich

490.246 - das ist die Zahl der Menschen, die mit Ende Jänner in Österreich arbeitslos sind. Fast eine halbe Million. Ein Rekord, wie Kommentatoren nicht müde werden, zu betonen. Ein trauriger Rekord, verstecken sich doch hinter diesen trockenen Zahlen Menschenschicksale: Jugendliche, denen der Einstieg ins Berufsleben nicht gelingen will, über 50-Jährige, die man schon als "alte Eisen" abgeschrieben hat, Langzeitarbeitslose, zermürbt von der Suche und den immer wieder erlebten Ablehnungen.

Mit jeder Arbeitslosenstatistik melden sich politische Funktionsträger in der Öffentlichkeit, verweisen auf bereits gesetzte Maßnahmen und kündigen neue Maßnahmen an. Das ist auch gut so. Schließlich kann nicht sein, dass Menschen das Grundrecht, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und selbstbestimmt für sich sorgen zu können, vorenthalten wird.

Wann immer Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen diskutiert werden, fehlt mir regelmäßig ein bestimmter Aspekt: nämlich die Frage nach der Qualität dieser Arbeitsplätze. Denn ein anderer statistischer Wert aus dem österreichischen Arbeitsmarkt ist nicht weniger beunruhigend, nämlich der, der die Menschen mit Burnout erfasst. Die vorsichtigsten Schätzungen gehen von 290.000 Betroffenen aus, manch andere Berechnung von deutlich mehr.

Vereinfacht gesagt: Wir befinden uns in einer Situation, in der auf der einen Seite Hundertausende Arbeit suchen, auf der anderen Seite ebenfalls Hundertausende unter der Last ihrer Arbeit zusammenbrechen. Oft genug sind beide Gruppen deckungsgleich: Menschen, die durch Burnout ihre Arbeit verlieren, oder die die Suche nach einem Arbeitsplatz psychisch ausgelaugt hat.

Wenn also in den Arbeitsmarkt steuernd eingegriffen wird, dann kann es nicht nur darum gehen, dass Arbeit da ist, sondern ist auch nach der Qualität dieser Arbeit zu fragen, der vorhandenen wie der neu zu organisierenden. Es geht also nicht nur darum, Arbeitsplätze zu schaffen, sondern auch dafür zu sorgen, dass diese Arbeit zu schaffen ist.

Womit sich die Frage nach dem, was Arbeit eigentlich ist, stellt: Reiner Broterwerb, um mein Leben zu sichern - oder vielleicht doch ein Betätigungsfeld für meine Fähigkeiten und meine Talente, ein Ort für Kreativität und Begeisterung.

In Zeiten von ständigen Rationalisierungsmaßnahmen in vielen Betrieben ist das wohl kaum mehr möglich. Wenn alles schneller gehen muss als bisher, in immer weniger Zeit immer mehr zu erledigen ist, dann ist der Zusammenbruch vorprogrammiert. Menschen sind nun einmal keine Maschinen, bei denen man nur ein Rädchen drehen muss, damit sie schneller werden. Menschen sind, um in der Sprache der Technik zu bleiben, wartungsintensiv. Haben ihre Bedürfnisse, und dürfen diese auch haben, um "funktionieren" zu können.

Dabei geht es nicht nur um das, was ich zu tun habe, sondern auch darum, wie ich es tun darf. Hier ist in unserer Arbeitswelt Entschleunigung dringend angesagt. "Das Tempo bestimme ich" - dieser Satz ist einem jeden Arbeitnehmer, einer jeden Arbeitnehmerin zuzugestehen. Selbstbestimmtes Tempo, im Vertrauen darauf, dass ich selbst am besten weiß, wie ich zu den besten Ergebnissen komme, auch wenn Rationalisierungsexperten das anders sehen.

Im Markusevangelium ist ein Satz von Jesus überliefert, der für mich ein guter Gedankenanstoß bei der Frage nach der Qualität von Arbeit sein kann. Eigentlich geht es dort zunächst einmal um das völlige Gegenteil von Arbeit, nämlich um freie Zeit, um den Sabbat. Diesen hat Jesus zu seiner Zeit als von Regeln und Ansprüchen überfrachtet wahrgenommen und daher gemeint: "Der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen, nicht der Mensch um des Sabbats willen." (Mk 2, 27)

Ich denke, dieser Satz lässt sich auch auf jede berufliche Tätigkeit anwenden: Die Arbeit ist für den Menschen geschaffen, und nicht der Mensch für die Arbeit. Anders gesagt: Arbeit ist Mittel zum Zweck, zunächst einmal zur Sicherung des Lebensunterhalts, aber dann gewiss auch dafür, dass ich mich einbringen und etwas schaffen kann, für mich, für andere, für die Gesellschaft. Und ich bin letztlich der einzige Experte, der weiß, wie ich das am besten hinkriege, wie ich mich am sinnvollsten und effektivsten einsetzen kann. Auf dieses "Fachwissen" zu verzichten, das wäre wirkliche Verschwendung von Ressourcen.

"Das Tempo bestimme ich." Wirkliche Qualität hat das, was ich mache, nur dann, wenn ich es so machen darf, wie ich es am besten kann. Derart motivierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu haben, das rechnet sich auch wirtschaftlich gesehen ganz sicher.

Sendereihe