Gedanken für den Tag

von Johnny M. Bertl, Musiker. "Dunkelgrau und zartbitter" - Gedanken zum 70. Geburtstag von Ludwig Hirsch. Gestaltung: Alexandra Mantler

Grenzenlos

Ludwig Hirsch nannte mich seinen besten Freund, und aus dieser Perspektive verrate ich ihnen ein paar seiner Gedanken abseits der Bühne. Heute: Was er von Grenzen hielt - Gar nichts!

Das Rebellieren der sogenannten 68er gegen alles, was nach starren Regeln roch, hatte sein Weltbild geformt. Es hat ihn grenzenlos gemacht. Grenzenlos im Denken. Unzählige Nächte sind wir zusammen gesessen und flogen im Hirn so weit weg wie möglich. Ohne Vernunft, ohne Tabus, ohne Gesetz und ohne Moral. Es war "Urlaub im Kopf". Nur mit ihm, dem Freigeist, der keine Grenzen akzeptierte, weil er keine kannte, konnte ich diese Reise unternehmen. Wunderbar.

Doch es gibt auch eine andere Seite von Grenzen: Die Angst zum Beispiel begrenzt den Übermut und schützt dadurch das Leben. Kinder betteln förmlich um Grenzen, sie geben ihnen Halt und Orientierung. Erst die begrenzte Dauer unseres Lebens macht den Augenblick so kostbar. Würden wir ewig leben, wäre nichts besonders. Schaffen Grenzen also Werte? Ja, auch!

Sind Grenzen nun gut oder schlecht? Weder noch! Grenzen sind da - Punkt. Und der Tod ist die Zusammenfassung aller irdischen Grenzen, daher werden wir sie auch nicht los - ob's uns passt oder nicht. Die einzige Möglichkeit, die uns also bleibt, ist der richtige Umgang damit.

Dazu will ich Ihnen einen Gedanken anbieten. Er ist ein bisschen weit hergeholt, aber vielleicht gerade deshalb interessant: Jeder Mensch ist physisch begrenzt durch die Haut, sie bildet seine materielle Grenze zur Umwelt. Ist es nicht verwunderlich, dass alle sozialen Kontakte in der Berührung der Haut eines anderen Menschen gipfeln? Grenze trifft auf Grenze sozusagen. Vom shake hands der Politiker, vom Kuss zweier Liebender bis zum Halten der Hand eines Sterbenden.

Das Abtasten der physischen Grenze eines anderen als Tor zu diesem Menschen? Eine Form der Grenzberührung, die gute Absichten signalisiert? Ja, genau! Und keiner kommt dabei auf die Idee, sich gleich die Haut vom Leib zu ziehen. Jeder bleibt er selbst und die Grenzen bleiben bestehen. Ich sagte ihnen, der Gedanke ist weit hergeholt, aber im Hirsch'schen Sinne kanns nie weit genug sein.

Service

Buch, Andy Zahradnik, Cornelia Köndgen, Johnny M. Bertl, "I lieg am Ruckn. Erinnerungen an Ludwig Hirsch", Verlag Ueberreuter

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Ludwig Hirsch
Komponist/Komponistin: Johnny M. Bertl
Album: GEL' DU MAGST MI
Titel: Zart
Solist/Solistin: Ludwig Hirsch /Gesang m.Begl.
Länge: 02:00 min
Label: Polydor 8155562

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