Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer. "Früher oder später muss man Partei ergreifen, wenn man ein Mensch bleiben will". Gestaltung: Alexandra Mantler

Weil ich nicht nur zu meinem eigenen Vergnügen lese, sondern Lesen zu meinem Beruf gemacht habe, muss ich mich hintereinander und oft auch parallel in ganz unterschiedliche Bücher vertiefen, die zumindest auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben.

Manchmal muss ich achtgeben, dabei nicht zu einer Lesemaschine zu werden und mich nicht mit Texten zuzuschütten. Denn der Kopf eines Lesers wird allzu schnell zum Tummelplatz fremder Gedanken, wie schon Arthur Schopenhauer gewarnt hat; er meinte: "Solches ist aber der Fall bei sehr vielen Gelehrten: sie haben sich dumm gelesen." Dagegen hilft nur eines: Sich das eigene Urteil über Bücher und Autoren nicht nehmen zu lassen und beim Lesen die eigenen Erfahrungen und Vorlieben nie aus dem Blick verlieren.

Bei der Vorbereitung der "Gedanken für den Tag" dieser Woche war das gar nicht so einfach: Drei große Schriftsteller des 20. Jahrhunderts mit sehr unterschiedlichen Romanwelten und ganz verschiedenen Schreibweisen haben ihren Todestag: Kommenden Sonntag, am 3. April, wird es 25 Jahre her sein, dass Graham Greene im Alter von 87 Jahren verstorben ist. Und eine Woche darauf, am 10. April, jährt sich der Todestag seines Freundes Evelyn Waugh zum 50. Mal. Waugh wie Greene sind aus ihrem anglikanischen Umfeld zum Katholizismus konvertiert. So haben sie wenigstens biografisch etwas gemeinsam. Aber wie passt da der linke Agnostiker Max Frisch dazu, dessen Todestag sich am 4. April zum 25. Mal jährt?

Der Titel der Sendung, "Früher oder später muss man Partei ergreifen, wenn man ein Mensch bleiben will", könnte jedenfalls gut von Max Frisch stammen. Tut er aber nicht. Er ist ein Zitat aus Graham Greenes Roman "Der stille Amerikaner". Greene, ein starker Trinker, ein Mann mit vielen amourösen Affären und häufiger Bordellbesucher, war nämlich nicht nur privat nicht ganz das, was man sich landläufig unter einem Katholiken vorstellt, sondern auch politisch nicht: Früh kritisierte er den Kolonialismus, die USA - und vor allem seine eigene katholische Kirche; während sein Freund Evelyn Waugh für Diktatoren wie Franco und gegen die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils Partei ergriff. Für mich als Leser heißt das: Um das eigene Urteil komme ich nie herum - nicht bei den Romanen und schon gar nicht bei den Ansichten ihrer Autoren. Das macht es spannend, sich darauf einzulassen.

Service

Graham Greene, "Der dritte Mann", Paul Zsolnay Verlag
Graham Greene, "Die Kraft und die Herrlichkeit", dtv
Graham Greene, "Unser Mann in Havanna", dtv
Graham Greene, "Das Ende einer Affäre", dtv
Graham Greene, "Die Reisen mit meiner Tante", dtv
Graham Greene, "Der stille Amerikaner", dtv
Graham Greene, "Das Herz aller Dinge", dtv
Evelyn Waugh, "Wiedersehen mit Brideshead", Diogenes Verlag
Evelyn Waugh, "Ohne Furcht und Tadel", Diogenes Verlag
Evelyn Waugh, "Tod in Hollywood", Diogenes Verlag
Max Frisch, "Tagebuch 1946 - 1949", Verlag Suhrkamp
Max Frisch, "Tagebuch 1966 - 1971", Verlag Suhrkamp
Max Frisch, "Stiller", Verlag Suhrkamp


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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Jasper van't Hof/geb.1947
Album: THE GREAT CONCERT - STUTTGART
Titel: The quiet american/instr./live
Solist/Solistin: Charlie Mariano /Altsaxophon m.Begl.
Ausführender/Ausführende: Philip Catherine /Gitarre
Ausführender/Ausführende: Jasper van't Hof /Piano
Länge: 02:00 min
Label: Enja Records/Edel 95322 ENJ

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