Radiokolleg - Mythos Buena Vista Social Club

Erfolgsmusik aus Kuba revisited (3).
Gestaltung: Thomas Mießgang

Als vor beinahe 20 Jahren ein Album mit dem Titel "Buena Vista Social Club" auf dem kleinen englischen Label World Circuit erschien, konnte niemand ahnen, dass die CD innerhalb weniger Jahre ein Multimillionenseller und die bestverkaufte lateinamerikanische Platte ever werden würde.

"Buena Vista", eine Sammlung alter kubanischer Standards wie "Chan Chan", "Dos Gardenias" oder "Candela", eingespielt von kubanischen Musikveteranen im Ruhestand und vom amerikanischen Gitarristen Ry Cooder akustisch auf Hochglanz poliert, bediente eine westliche Sehnsucht nach Authentizität und dem Eros handgemachter Traditionsklänge mit Sabrosura, zu deutsch: karibischer Lust und Lebensfreude. Mag dabei auch ein gewisses Maß an Selbsttäuschung und Sehnsuchtsprojektion eine Rolle spielen, so steckte hinter "Buena Vista" doch kein Marketingplan und keine Welteroberungsstrategie. Die CD war ein Glücksfall, - der richtige Klang zur richtigen Zeit - und sie hat für ein globales Publikum die Tür aufgemacht zu einer Klangwelt, von der es vorher nichts wusste.

"Eine Sache, die diese Musiker hatten - und immer noch haben - ist ein ungeheures Vertrauen in ihre Tradition, den kubanischen Son", sagt Nick Gold, Labeleigner von World Circuit Records, und damals, im Jahr 1996, einer der Produzenten der Buena Vista-Platte. "Sie haben diese Musik liebevoll behandelt wie ein Baby. Sie haben sie gewissermaßen großgezogen. Und sie wissen, dass sie gut ist."

Die kubanischen Klänge, die aus der vorrevolutionären Epoche in die Gegenwart herübergeweht wurden, waren eine Zeitlang so omnipräsent, dass Salman Rushdie in seinem Roman "Fury" vom "heißen Buena Vista-Sommer 1998" schreiben konnte. Die Hysterie um den Museumsklang, der aus der Hitze kam, mag sich ein wenig gelegt haben, doch die Musik der "Super-Abuelos", der Super-Opas, von denen die meisten bereits gestorben sind, wird auch heute noch gern gespielt - in Kneipen, Strandbars, Shopping Malls - überall dort, wo ein westliches Publikum, das an emotionaler Auszehrung leidet, sich in tropische Gegenwelten mit nostalgischer Patina halluzinieren wollte.

Thomas Miessgang, der schon im Jahr 2000 unter dem Titel "Der Gesang der Sehnsucht" ein Buch über den "Buena Vista Social Club" veröffentlicht hat, geht in Havanna den Spuren nach, die die konservative Klangrevolution in einer von Reggaeton und Merengue beherrschten Musikgegenwart hinterlassen hat, und unterzieht Geschichte und Gegenwart, Mythos und Realität von "Buena Vista" in Rückblenden und aktuellen Bestandsaufnahmen einer kritischen Revision. "Ziellos treibe ich wie Rauch", hat "Buena Vista"-Star Ibrahim Ferrer einst gesungen. Die verschlungenen Pfade des Ensembles zum Welterfolg haben gezeigt, dass der Weg das Ziel war.

Service

Thomas Mießgang: "Der Gesang der Sehnsucht: Die Geschichte des Buena Vista Social Club und der kubanischen Musik", Kiepenheuer & Witsch 2000

Maya Roy: "Buena Vista - Die Musik Kubas", Palmyra Verlag 2000

Lydia Cabrera: "Die Geburt des Mondes: Schwarze Geschichten aus Kuba", Suhrkamp 1999

Sendereihe

Gestaltung

  • Thomas Mießgang