Zwischenruf

von Superintendent Olivier Dantine (Innsbruck)

Für die evangelischen Kirchen ist es normal, dass Frauen als Pfarrerinnen arbeiten: Sie predigen, sie teilen Abendmahl aus, leisten Seelsorge und machen alles, was auch ihre männlichen Kollegen machen.

Das ist inzwischen so sehr Normalität, dass es niemandem mehr auffällt. Längst hat die überwiegende Mehrheit der Lutherischen Kirchen weltweit die Frauenordination eingeführt. In Österreich war dies 1965, allerdings noch mit Einschränkungen für Pfarrerinnen verbunden, die völlige Gleichstellung erfolgte im Jahr 1980 nach langen und heftigen Debatten. In manchen Ländern, etwa in Osteuropa, wurde die Frauenordination noch nicht eingeführt. Vor kurzem nun flammte in den lutherischen Kirchen die Diskussion erneut auf, ob Frauen zu Pfarrerinnen ordiniert werden dürfen oder nicht.

Grund ist Lettland. In dem baltischen Staat, und das ist ein Sonderfall, wurde die Frauenordination in den 70er Jahren eingeführt. Der derzeit amtierende Erzbischof ist vor 23 Jahren aber dezidiert wegen seiner ablehnenden Haltung zu Frauen im Pfarramt in sein Amt gewählt worden. Es hat auch seit damals in Lettland keine Ordination von Frauen gegeben. Und vor drei Wochen hat die Synode der lutherischen Kirche Lettlands nun die Ordination von Pfarrern auf Männer beschränkt. Ein Schritt, der innerhalb der lutherischen Kirchen großes Aufsehen erregt hat, sehr viel Kritik ausgelöst hat und auch eine schwere Belastung für die Gemeinschaft evangelischer Kirchen bedeutet. Auf der anderen Seite gab es auch im deutschsprachigen Raum vereinzelt Lob für die Lutherische Kirche in Lettland. Sie habe, so der Tenor, sich mutig gegen den Druck des Zeitgeistes gestellt und sei zu biblischen Grundlagen zurückgekehrt.

Freilich: Die Frage, ob sich die Beschränkung des Pfarramtes auf das männliche Geschlecht überhaupt theologisch begründen lässt, ist erst im Laufe des 20. Jahrhunderts gestellt worden. Es war die Zeit der Fragen nach Frauenemanzipation und Gleichberechtigung. Dass beides - Frauenordination und Gleichberechtigung - zur gleichen Zeit diskutiert wurden, ist sicher kein Zufall. Der allgemeine Aufbruch hat auch vieles in den Kirchen in Frage gestellt. Und genau hier zeigt sich eine wichtige Aufgabe der Theologie: Es geht selbstverständlich nicht darum, alle Neuerungen für die Kirche unkritisch zu übernehmen. Immer wieder ist auch Widerspruch zu Entwicklungen notwendig.

Aber sehr wohl ist es richtig und notwendig, die biblischen Texte immer wieder neu zu lesen und zu interpretieren. Da kann es schon sein, dass eine neue Fragestellung auch eine neue Perspektive auf so manche Bibelstelle eröffnet. Die Antworten, die nach intensivem biblischen und theologischen Studium auf neue Fragestellungen gefunden wurden, sind aber deswegen nicht falsch oder unbiblisch. Ganz im Gegenteil: Manches in der Bibel wird durch eine neue Frage erst entdeckt, wie zum Beispiel die Tatsache, dass schon in den ersten christlichen Gemeinden sehr wohl Frauen in Leitungsfunktionen tätig waren.

Wer eine solche neue Sichtweise auf die Bibel als "Zeitgeist" verunglimpft, dem muss man diesen Vorwurf zurückgeben: Denn die früher vorherrschende ablehnende Haltung zu Pfarrerinnen hat lange Zeit sehr gut in das allgemeine Bild von der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau gepasst. Nur weil sich diese Haltung so lange durchgesetzt hat, soll das nicht eine vom damaligen Zeitgeist beeinflusste Haltung gewesen sein? Das ist wenig überzeugend.

Ich bin dankbar, dass Frauen im Pfarramt in unserer Kirche zur Normalität gehören. Es ist für mich nicht anders vorstellbar, und eine unglaubliche Bereicherung für unsere Kirche. Nicht zuletzt ist es ein Hinweis darauf, dass sich Kirche vor den Veränderungen der Zeiten nicht zu fürchten braucht. Manchmal verbirgt sich eben hinter dem Zeitgeist der Heilige Geist.

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