Gedanken für den Tag

von Johanna Schwanberg, Leiterin des Dommuseums Wien. "Der Jenseitsmaler" - Zum 500. Todestag von Hieronymus Bosch. Gestaltung: Alexandra Mantler

Eine farbenfrohe Welt, in der es nur Liebe und Zärtlichkeiten gibt. Keinen Streit. Keine Arbeit. Keine Zivilisation. Stattdessen eine üppige, fruchtbare Landschaft mit überdimensionalen Früchten, kühlenden Gewässern und herumtollenden Tieren. An allen Ecken sind nackte Männer und Frauen aus unterschiedlichen Kulturkreisen zu sehen, die in sinnlich-erotischen Posen miteinander verschmelzen.

Eine Utopie, von der im Laufe der Jahrhunderte viele geträumt haben. Etwa der Philosoph Jean-Jaques Rousseau im 18. Jahrhundert mit seiner Parole "Zurück zur Natur" oder die Monte-Verita-Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Vor allem die Hippie-Szene der 1970er Jahre strebte ein naturnahes Leben an, befreit von allen Tabus und zivilisatorischen Einschränkungen.

Einer war all diesen Visionen voraus: Hieronymus Bosch, der bedeutendste niederländische Künstler des ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Neuzeit.

Mit seinem "Der Garten der Lüste" schuf er um die 1490er Jahre ein Gemälde, das kaum mit Worten zu beschreiben ist. Es befindet sich im Madrider Prado und zieht gerade jetzt, anlässlich der Ausstellung zum 500. Todestag des Malers, wieder Tausende Besucher aus aller Welt in den Bann.

Boschs Lustgarten ist als Mitteltafel eines beweglichen Triptychons eingebunden in eine biblische Perspektive. Die farblosen Außentafeln zeigen die Erschaffung der Welt am 3. Tag, als sie nur mit Pflanzen bedeckt war. Die linke Innentafel ist dem Paradies mit Adam und Eva gewidmet, die rechte führt eine Höllenvision vor Augen.

Bis heute besteht Uneinigkeit über die Deutung dieser fantastischen Bilderzählung. Für die einen ist klar, dass der Maler hier entsprechend seiner religiösen Einbettung vor der Todsünde Wollust warnen will. Für die anderen ist "Der Garten der Lüste" genau das Gegenteil. Nämlich das Traumbild eines Liebesparadieses, jenseits von Schuld und Moral.

Mich begeistert an der Kunst von Hieronymus Bosch gerade ihre Rätselhaftigkeit. Denn Bosch gibt mir keine Antworten. Vielmehr stellt er mir entscheidende Fragen. Über das Leben, dessen Freuden, aber auch dessen Abgründe.

Service

Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Titel: GFT 160729 Gedanken für den Tag / Johanna Schwanberg
Länge: 03:49 min

Komponist/Komponistin: Johann Hermann Schein/1586 - 1630
Album: "ALLERLEY DAENTZE..." - TANZMUSIK AUS MITTELALTER UND RENAISSANCE
* Courante - 3.Satz (00:01:05)
Titel: Suite in d aus "Banchetto musicale", 1617
Tanzsuite
Ausführende: Odhecaton - Ensemble für alte Musik, Köln
Länge: 02:00 min
Label: FSM FCD 97751

weiteren Inhalt einblenden