Zwischenruf

von Christine Hubka (Wien)

Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen

Wut ist ein Thema geworden. Das erste Mal wird ein Mensch im Alter von zwei Jahren so richtig wütend. Zweijährige werfen sich auf den Boden, strampeln mit den Beinen, schlagen mit Fäusten um sich und brüllen aus Leibeskräften. Die Gründe sind meistens Kleinigkeiten.

Ich will das blaue Leiberl anziehen, nicht das Grüne. Ich will hinauf oder hinunter, oder auch beides gleichzeitig. Kluge Eltern sorgen dafür, dass sich der kleine Zornbinkel nicht selbst verletzt und niemandem anderen weh tut. Kluge Eltern wissen, dass diese Phase vorbei geht.

Aber mit dem Ende des sogenannten Trotzalters ist das Thema Wut nicht beendet. Auch erwachsene Menschen werden wütend. Stundenlang kann man über die Wut der anderen diskutieren. Seitenlang wird sie derzeit seziert, analysiert und moralisiert.

Die eigene Wut zu spüren ist viel schwieriger. Denn jahrhundertelang haben die Kirchen verkündet: Zorn ist eine große Sünde. Aber es gibt nun einmal Situationen, die mich auf 180 bringen. Es gibt Augenblicke, da koche ich vor Zorn, wenn ich ungerechte, willkürliche, bösartige, gemeine Aktionen erlebe.

Wutausbrüche, die ich bei anderen erlebe, entladen sich auf vielfältige Weise: Einer knallt die Türe zu. Ein anderer wirft einen Teller an die Wand. Viele brüllen herum. Einige schlagen zu. Dann gibt es noch die weniger heftigen Formen: Manche rennen hinaus und einmal um den Häuserblock. Und ganz viele pressen die Lippen fest zusammen und schlucken die Wut hinunter.

Von Jesus erzählen alle vier Evangelien, dass er einen Wutanfall bekommen hat. Im Jerusalemer Tempel, also an einem denkbar ungeeigneten Ort, wurde er so zornig, dass er die Tische der Händler umgeworfen hat.

Sollen wir nun, wenn wir wütend werden, einen Tisch umwerfen, statt die Türen zu knallen? Immerhin ist Jesus ja ein Vorbild, heißt es unter Christinnen. Bevor Jesus zornig wird, weint er, erzählt die Bibel. Ich komme meiner eigenen Wut ein Stück auf die Spur. Da ist auch Traurigkeit mit dabei. Eine abgrundtiefe Traurigkeit. Aber weinen ist auch unerwünscht. Wer traurig ist, soll gefälligst zuhause bleiben und niemanden mit seinen Tränen belästigen.

Wenn es etwas gibt, was Christinnen und Christen allen anderen voraushaben, dann ist es die Gewissheit, dass unsere Emotionen, die Traurigkeit, die Wut, aber auch die Freude, die Liebe - dass das alles von Gott und von Jesus mit den Menschen geteilt wird. Denn auch von Gott erzählt die Bibel, dass er traurig, wütend und enttäuscht ist. Weder Gott noch Jesus kann ich mir ständig gleichmütig und ewig lächelnd denken. Da steht das Zeugnis der Bibel einfach dagegen.

Was tue ich also mit meiner Wut? Wie gehe ich erwachsen mit dieser Ladung geballter Energie um, wenn sie in mir hochkocht?

Der Epheser Brief, empfiehlt den Zornigen zweierlei: Die erste Empfehlung: "Zürnt ihr, so sündigt nicht". Ich verstehe das so: Drücke deinen Zorn dort aus, wo er hingehört. Zeige ihn denjenigen, die ihn erregen. Lass ihn nicht andere spüren, die dir zufällig über den Weg laufen und gar nichts dafür können. Jesus zeigt seinen Zorn den Händlern und Wechslern, die aus dem Haus der Anbetung einen Jahrmarkt gemacht haben. Er wirft deren Tische um, nicht irgendwelche Tische von irgendwelchen Menschen.

Die zweite Empfehlung: "Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen". Das heißt für mich: Lass nicht zu, dass deine Wut zu Hass wird. Zorn ist die Reaktion auf eine bestimmte Situation. Wenn die Situation vorbei ist, dann verdampft auch der Zorn. Hass ist etwas ganz anderes. Hass ist ein grundlegendes Lebensgefühl, losgelöst von Situationen und Ereignissen.

Die Empfehlung des Epheserbriefes ist keine religiöse Forderung sondern eine einfache, vernünftige Anweisung, um sich selber vor Hass zu bewahren. Denn wer hasst, ist für diese Gemütslage selber verantwortlich.

So gesehen folgen Zweijährige den Empfehlungen des Epheserbriefes eher als viele Erwachsene. Denn wenn der Sturm vorüber ist, sind sie wieder friedlich, freundlich und den Menschen zugetan.

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