Zwischenruf

von Superintendent Hermann Miklas (Graz)

Erinnern Sie sich auch noch an so manche herrlichen Sommerurlaube - früher? Man war weg - weit weg - in einer anderen Welt. Äußerlich wie innerlich. Abstand nehmen war angesagt. Die paar Postkarten, die man geschrieben hat, waren so ziemlich die einzigen Verbindungsglieder zur "normalen" Welt daheim. Trunken von Farben, Eindrücken und schönen Erlebnissen ist man nach ein paar Wochen aus dieser Traumwelt zurückgekehrt und hat dann erst einmal ein paar Tage gebraucht, um sich in der gewohnten Umgebung hier wieder einigermaßen zurecht zu finden.

Heute bleiben wir über WhatsApp, SMS und diverse andere Smart-Phone-Funktionen ständig mit der ganzen Welt vernetzt. Ich will das jetzt gar nicht bewerten; das hat viele Vorteile, wir möchten es ja auch kaum mehr missen, aber ein Stück weit schmälert es natürlich den Erholungswert schon. Doch zurückdrehen lässt sich das Rad der Zeit ohnehin nicht, es ist nun einmal so, wie es ist.

Mir selber ist das heuer nur sehr persönlich bewusst geworden. Da war ja diese furchtbare Serie von Terroranschlägen - in Augsburg, in Nizza, in München. und dann auch noch die bestialische Ermordung eines greisen Priesters in Frankreich, ein weiterer Tabubruch. Das lässt einen alles auch im Urlaub nicht kalt. Und ich will nicht verhehlen, dass es mich an der Allmacht Gottes hat zweifeln lassen. Ich habe innerlich echt kämpfen müssen. Auch mit Gott: "Wie kannst du das nur zulassen? Mein Gott, warum nur?"

In dieser Situation hat mir plötzlich mein lieber katholischer Bischofskollege eine Mail geschickt - er vom Weltjugendtag aus Krakau, ich gerade in Cornwall: "Meinst du nicht, wir sollten angesichts der furchtbaren Ereignisse was schreiben? Eine Stellungnahme abgeben?" Er hatte völlig Recht. - Und doch.! Ich habe ihm dann zurückgeschrieben: "Mir schnürt´s im Moment die Kehle zu; ich wüsste derzeit beim besten Willen nicht, was wir Hilfreiches schreiben könnten."

Wir haben schließlich eine andere Lösung gefunden und den Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in der Steiermark gebeten, eine Stellungnahme abzugeben - ebenfalls aus dem Urlaub. Und das war gut so. So schwer es ihm gefallen sein mag, er hatte etwas zu sagen. Ja, er hatte sogar von sich aus schon etwas vorbereitet. Ich bin ihm sehr dankbar dafür!

Trotzdem hat es mich später noch lange beschäftigt. Hat ein Superintendent, hat ein Bischof, hat jemand, der ein öffentliches Amts bekleidet, das Recht zu schweigen? Weil er gerade auf Urlaub ist? Weil auch er den Abstand braucht? Weil er im Moment nichts sagen kann?

Nein, ich plädiere nicht für eine Rückkehr zum Eremitentum. Nicht einmal für eine partielle. Dennoch: Ohne das Heraustreten aus dem Gewohnten, ohne den zeitweiligen Abstand, ohne den distanzierten Blick von außen würde man auf Dauer zum Gefangenen des eigenen Systems werden. Es braucht offenbar auch die Zeit des Hörens, des inneren Ringens, des Haderns und des Redens mit Gott, die Zeit des konzentrierten Nachdenkens, ohne dass man das eigene Herz schon gleich wieder auf die Zunge legen müsste (denn damit würde man sich womöglich zum Schwätzer machen). Ja ich bin davon überzeugt: Es braucht sogar in schwierigen Zeiten immer wieder einmal das unbeschwerte Genießen von Sonne, Wind und Farben.

Mag es vielleicht auch unklug gewesen sein - mir hat das Schweigen-Dürfen gut getan. Und langsam finde ich jetzt auch wieder die nötigen Worte.

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