Radiogeschichten

Ex-libris-Nachlese. "Jugend". Von Wolfgang Koeppen. Es liest der Autor. Gestaltung: Peter Zimmermann

Anfang der fünfziger Jahre veröffentlichte Wolfgang Koeppen drei Romane, die ihn zum provokativsten und sprachmächtigsten Nachkriegsautor neben Arno Schmidt machten: "Tauben im Gras", "Das Treibhaus" und "Der Tod in Rom". Und dann kam lange nichts, außer von Zeit zu Zeit kleine Texte für Zeitschriften. Koeppen kündigte, wenn er darauf angesprochen wurde, verlässlich den großen Roman an, doch außer Entwürfe brachte er nichts zustande. Wohl aber arbeitete er an einem Text über seine Herkunft und Jugend in der Zeit vor und während des Ersten Weltkriegs und über die Jahre danach, doch auch da wollte sich nichts Geschlossenes herstellen lassen. 1976 schließlich stellte Koeppen, wohl auch auf Drängen des Suhrkamp-Verlags, aus dem biografischen Material ein Buch zusammen. Einen Reigen kurzer, stark verdichteter Texte über eine Jugend in Greifswald an der Oder. "Jugend", so der Titel des Buchs, war nicht der lange angekündigte Roman, war aber auch keine Autobiografie. "Jugend", kann man sagen, sind Szenen aus einem Leben am Ende der Wilhelminischen Epoche, in denen Lebensspuren mit Geschichte vermengt sind.
Koeppen setzt lange Satzkonstruktionen in die Welt, wobei in jedem Nebensatz eine andere Zeit angesprochen wird. Er schaut auf die frühen Jahre des 20. Jahrhunderts wie durch ein Prisma - das scheinbar Eindeutige zerfällt in eine Vielzahl verschiedenfarbiger Fragmente, die, und das ist die Kunst, durch eine wohlkomponierte Syntax wieder zusammengefügt werden.
Wolfgang Koeppens "Jugend" ist ein Versuch, autobiografisch zu schreiben, ohne von sich als Person zu erzählen. Er habe sich den Erzähler zusammengelogen, hat er einmal gesagt. Das stimmt so auch nicht ganz, man kann vielmehr sagen, dass er statt der eigenen Biografie die eigene Erfahrung als Grundlage verwendet hat, die er dann einer fiktiven Figur einpflanzt. Wie in Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" geht es in "Jugend" nicht um die Ereignisse, sondern darum, die Ereignisse wahrgenommen werden.
"Jugend" von Wolfgang Koeppen ist im Rahmen der Werkausgabe im Suhrkamp Verlag wieder aufgelegt worden.

Service

Wolfgang Koeppen, "Jugend", Roman, Suhrkamp Verlag

Sendereihe

Gestaltung

  • Peter Zimmermann