Gedanken für den Tag

8. November 2016, 06:56

In meinem Bekanntenkreis sind viele Menschen, die sich um Leute kümmern, die die Not nach Österreich geführt hat. Eine Freundin hat einen jungen Mann aus Afghanistan zu Hause aufgenommen - als fünfte Person zu ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern dazu. Sie wurde enttäuscht. Ein Jahr lang, sagt sie heute, hat Javid kaum Deutsch gelernt, sein Interesse für Österreich ist gleich null gewesen, er hat die Tage mehr oder weniger auf der Couch liegend mit seinem Handy verbracht.

Ein anderes, mir sehr nahe stehendes Ehepaar hat die Patenschaft übernommen für einen 16-jährigen Burschen aus Somalia, der auf der Flucht vor al-Shabaab-Milizen seine ganze Familie verloren hat. Eltern, Geschwister, alle. Der Bursch heißt Lukman, ich habe ihn kennengelernt: einen klugen und witzigen jungen Mann, der inzwischen fast flüssig Deutsch spricht und seit Beginn des Schuljahres in einem Poly in Wien den Hauptschulabschluss macht. Was das Engagement in beiden Fällen gekostet hat? Viel Zeit, viel Geduld. Und gar nicht wenig Geld.

Wenn der australische Moralphilosoph Peter Singer in seinem neuen Buch mit dem Titel "Effektiver Altruismus" die These vertritt, dass jede Hilfe, die nicht auf einem beinharten Kosten-Nutzenkalkül basiert, eine vergeudete, weil ineffiziente Hilfe ist, dann muss ich sagen: Ich glaube nicht, dass jene, die erfolgreich geflüchteten Menschen helfen oder erfolgreich die Österreich-Tafel für Arme organisieren, einem beinharten Kosten-Nutzenkalkül folgen. Ich glaube, dass sie dem folgen, was wir Herzensbildung nennen. Man kann es auch das Gewissen nennen.

Service

Niki Glattauer, "Flucht", Verlag Tyrolia
Peter Singer, "Effektiver Altruismus. Eine Anleitung zum ethischen Leben", Verlag Suhrkamp

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler