Gedanken für den Tag

12. Dezember 2016, 06:56

Armut in einer der wohlhabendsten, lebenswertesten Städte der Welt: Das war zur Zeit des legendären Wiener Sozialreporters Max Winter, zu Beginn des 20. Jahrhunderts kein Thema für jene, die das Kaiserreich dem Ende zuführten, ihren Wohlstand verwalteten und die öffentliche Meinung diktierten. Armut ist auch heute kein großes Thema in Wien.

Mir unverständlich! Denn in jener Stadt, die sich in allen internationalen Wohlfühlrankings ganz oben sieht, sind laut amtlicher Statistik bald 200.000 Menschen betroffen.

Im Stadtbild fallen sie kaum auf: Die Armen von Wien. Doch es gibt sie. Man muss nur etwas genauer hinsehen. In den vergangenen zwei Jahren habe ich einige kennen gelernt: Wohnungs- und Heimatlose, kranke Menschen ohne Krankenversicherung, Einsame in elenden Unterkünften, Hungrige bei Ausspeisungen, Bettelnde auf der Straße, fast Erfrorene auf der Donauinsel, Verschuldete, Vertriebene, EU-Armutsmigranten in der Sackgasse, moderne Hungerkünstler, Working Poor, Langzeitarbeitslose.

Ich habe sie besucht, habe ihnen zugehört. Was ich erfahren habe, passt nicht ins Bild der aufwändig produzierten Imagebroschüren der Stadt Wien. Macht nicht nur mich betroffen.

Nach dem Erscheinen des Buchs wurde ich öfters gefragt, ob mich die Recherchen arg deprimiert haben. Ich antwortete mit den Worten des Wiener Armenforschers Martin Schenk: "Es ist die Grundperspektive meiner Arbeit, die mir oft weiterhilft. Wir reden hier immer von Menschen. Und denen kann und will ich nur auf Augenhöhe begegnen. Das sind keine Unterschichtsdeppen, die nichts können, noch sind sie verewigte Opfer, die alles brauchen. Das Schöne ist: Eine Begegnung mit Menschen schließt immer auch die Möglichkeit ein, Freundschaften zu schließen."

Service

Uwe Mauch, "Die Armen von Wien. 13 Sozialreportagen", ÖGB-Verlag

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler