Schneeglöckchen

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Gedanken für den Tag

Oliver Tanzer über den Garten und seine Mehrwerte

Der stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Furche", Oliver Tanzer, macht sich auf in den Garten. - Gestaltung: Alexandra Mantler

Das Prinzip des Lebens

Nun ist es Samstag und die Gedanken für den Tag klingen heute aus. Vorsicht, es wird jetzt vielleicht etwas kitschig. Aber umso ernster. Ich will nämlich über ein Phänomen reden, welches das wichtigste überhaupt im Garten ist: Das Geschenk. Das mag zunächst etwas verwundern. Warum Geschenk? Nun, wenn der Mensch gewöhnlich etwas schenkt, dann ist das Geschenk auf einen Handel aufgebaut, es ruht sozusagen auf zwei Beinen, das erste Bein ist die Gabe, das andere Bein die Gegengabe. Wir schätzen Wert und wollen wertgeschätzt werden. So könnten wir sagen, das wichtigste Prinzip der Ökonomie in diesem Wechselspiel gefunden zu haben. Ich gebe, um zu nehmen.

Beim Garten ist das allerdings anders. Denn obwohl es dort so viel wirtschaftliche Logik zu entdecken gibt, ist sein allererstes Prinzip doch ein anderes. Das Leben im Garten entzieht sich nämlich der Logik von Geben und Nehmen. Es ist nur ein Geben. Eine im wahrsten Sinne des Wortes Hin-Gabe, wie das der Biologe Andreas Weber so schön poetisch formuliert. Und wenn man das philosophisch weiterspinnt, landet man bei dem bedingungslosen "Es gibt" des Philosophen Martin Heidegger. Dieses "Es gibt" steht ganz am Grund unseres brunnentiefen Nachdenkens über das Sein.

Der Handel ist von diesem "Es gibt" ausgeschlossen. So wie eben auch im Garten. Dort wird die Natur bald schon Feste der Verschwendung, der Überfülle von Blüten und Schönheit feiern. Und zwar ganz egal, ob wir den Garten nun bebauen und formen, oder ihn brach liegen lassen. Diese Hingabe scheint aufs Erste unökonomisch. Aber sie bekommt dann einen ökonomischen Sinn, wenn wir so wie die Natur in Zyklen denken und in Kreisläufen von Transformationen.

Und die Grundregel dieses Kreislaufs ist, dass alles in der Welt letztlich geschenkt ist durch sich selbst. Anders gesagt: Niemand kann sich seine Geburt erkaufen, der Grashalm so wenig wie der Mensch. Und wenn wir den Fortgang der Generationen betrachten, die Generationen, auf deren Schultern wir stehen und jene Generationen, die auf unseren Schultern stehen werden, dann bleibt am Ende nichts als dieses unbegreifliche "Es gibt". Giordano Bruno, ein als Ketzer verbrannter Mönch hat dieses "Es gibt" als "das Prinzip" benannt, und Gott gemeint. Und hier schließt sich der Kreis. Wenn nämlich Gott das Prinzip ist und das Prinzip das Leben ist, dann braucht man nicht auf den Paradiesgarten zu warten. Denn man steckt schon mitten drin. Im Garten jedenfalls.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Michael Nyman/geb.1944
Gesamttitel: DER KONTRAKT DES ZEICHNERS / Original Filmmusik
Titel: The garden is becoming a robe room (00:06:05)
Anderer Gesamttitel: THE DRAUGHTSMAN'S CONTRACT / Original Filmmusik
Ausführende: Michael Nyman
Ausführende: Michael Nyman Band /Instrumental
Länge: 06:05 min
Label: Virgin Charisma CAS CD 1158

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