Gedanken für den Tag

Reinhard Deutsch über Leo Perutz

"Im Reich der unermesslichen Zahlen, Zeichen und wirkenden Kräfte" - Zum 60. Todestag des Dichters Leo Perutz macht sich der Verleger Reinhard Deutsch Gedanken über den Erzähler von Geschichten zwischen Wirklichkeit und Mystik. - Gestaltung: Alexandra Mantler

In Leo Perutz' Roman "Der Meister des jüngsten Tages" ist es ein inwendig Erfrorener, der die seltsamen Tode auf ihrer Spur verfolgt und den Sinn erforscht, der hinter all den dramatischen Ereignissen stecken mag. Wenn mysteriöse Zusammenhänge sichtbar werden, leuchtet in ihrem Schatten das Furchtbarste auf: der Blick auf das Jüngste Gericht!

Eine Mordserie erschüttert Wien in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, als das Töten noch etwas Besonderes war. Die Verdächtigungen gehen in alle Richtungen. "Wir alle sind Gebilde, die dem großen Willen des Schöpfers misslungen sind. Wir tragen einen furchtbaren Feind in uns und ahnen es nicht. Er regt sich nicht, er schläft, er liegt wie tot! Wehe, wenn er zum Leben erwacht! Möge niemals wieder ein menschliches Auge die Farbe Dromettenrot erblicken, die ich gesehen habe, ja, Gott helfe mir, ich habe sie gesehen ."

Es ist dieses Spiel mit dem angedeuteten, vorgehaltenen Wissen, das in den Romanen des Leo Perutz immer wieder für die Spannung sorgt, für den Konflikt zwischen den Figuren. Als Leserin oder Leser wird man von einem Irrweg auf den nächsten geschickt, denn Perutz verflicht seine Figuren so spielerisch wie kompliziert.

"Wisse, dass geschehene Dinge niemals ein Ende haben, und der, der es getan hat, möge der Gerechtigkeit Gottes gewärtig sein."

Nach fünf Zügen aus der Pfeife "erschien mir mitten im Zimmer der Hibiskusstrauch. Ein Erinnerungsbild, aber eines von so unerhörter Lebhaftigkeit und Plastik, dass ich unwillkürlich einen Schritt näher trat. Ich zählte die rotvioletten Blüten des Strauchs, es waren ihrer, soviel ich sehen konnte, acht, und eine neunte, tief rot gefärbte, öffnete sich, während ich sie betrachtete."

Oder: "Was du die Kraft der Gesichte nennst, kann ich dir wiedergeben, und ich kann sie sogar in solchen erwecken, die sie nie zuvor besessen haben . doch ich sage dir, dass es ein stürmisches Meer ist, in das du dich wagst, und vielleiht wäre es besser für dich, du bliebest im Hafen."

Und so kommt Perutz zu der Erkenntnis: Der Sitz der Fantasie ist zugleich der Sitz der Furcht. Furcht und Fantasie sind unlösbar miteinander verbunden.
Denn: "Alle menschliche Weisheit ist nur Stückwerk und weniger als Stückwerk, ist nur Rauch und Schatten vor dem Antlitz des Herrn. .

Service

Leo Perutz, "Der Meister des Jüngsten Tages", Verlag dtv
Hans-Harald Müller, "Leo Perutz. Biographie", Verlag Paul Zsolnay

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Johannes Brahms/1833 - 1897
Album: ROMANZE - KLASSISCHE KOSTBARKEITEN
Titel: Walzer op.39 Nr.15 in As-Dur für 2 Klaviere / Bearbeitung für Violine, Klavier und Orchester
Solist/Solistin: Hans Grötzer /Violine
Solist/Solistin: Herbert Seiter /Klavier
Orchester: Orchester der Wiener Staatsoper
Leitung: Hans Hagen
Länge: 02:00 min
Label: Elite CD 7323

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