Gedanken für den Tag

Reinhard Deutsch über Leo Perutz

"Im Reich der unermesslichen Zahlen, Zeichen und wirkenden Kräfte" - Zum 60. Todestag des Dichters Leo Perutz macht sich der Verleger Reinhard Deutsch Gedanken über den Erzähler von Geschichten zwischen Wirklichkeit und Mystik. - Gestaltung: Alexandra Mantler

"Was soll ich hier, was will ich hier?", fragt sich der schwedische Reiter, als er im Traum vor ein himmlisches Gericht tritt. Ihm gegenüber steht ein riesenhafter Cherub, mit einem bloßen Schwert in den Händen.

Des Diebstahls wird er angeklagt, des Mundraubs, doch ein Fürsprech stellt fest: "Er hatte nichts als seinen Schatten, so arm war er." Da kam aus der Höhe die Stimme des Richters, die klang wie Harfenton so mild: "Er mag seines Weges gehen, er ist nicht schuldig." Und auch die Anklage wegen Kirchenraubes, von Gold und Silber, endet mit dem gleichen Richtspruch. Doch dann kommt die Anklage wegen Betrugs an einem Freund und Meineid und Raub der Existenz. Da ruft der Engel die Zeugen auf:

"Heide, Weide, Rohr und Sand,
Stege, Wege, Ackerland,
Wind und Schnee und Busch und Moor,
Feuer, Wasser, Zaun und Tor,
Stein am Weg und Licht im Haus!
Tretet vor und saget aus!"

Da steigen sie aus der Tiefe empor, die stummen Zeugen, die irdischen Dinge, sie kommen mit Dröhnen und Knirschen, mit Knarren und Zischen, mit Brausen und Rauschen, und die himmlischen Beisitzer verstehen ihre Sprache. Und aus der Höhe kommt das donnernde Richterwort. "Und so verkünde ich das Urteil, dass er soll allein tragen durch sein Leben seiner Sünden Last und sie keinem gestehen und bekennen als der Luft und dem Erdreich."

Der Reiter zieht hinaus und findet den Hof, der dem Mann gehört hat, dem er die Existenz genommen, und er findet die Frau, und er hält Hochzeit und er wird Vater. Und alles scheint gut. Doch die Zeit läuft ab und der Verrat ist nicht aufzuhalten, und er endet nun doch im Steinbruch. Als er stirbt, tritt der Cherub wieder vor ihn hin. Mit letztem Atem sagt er dem Engel: "Ich will nur eines: meine junge Tochter soll, wenn ich nicht wiederkomm, nicht glauben, ich hätte sie vergessen. Man soll's ihr sagen, dass ich gestorben bin. Sie soll nicht weinen um meinetwillen, ein Vaterunser soll sie beten für meine Seele."

Der Engel des Todes blickte zu den Sternen empor. So stand er, schattengleich, und dann senkte er in stummer Gewährung sein strenges und erhabenes Antlitz.

Im Gedächtnis zu bleiben - das war ein sehnlicher Wunsch des heute vor 60 Jahren in seinem geliebten Bad Ischl gestorbenen Leo Perutz. Dort ist er auch begraben, am Rand des Friedhofs.

Service

Leo Perutz, "Der schwedische Reiter", Verlag Paul Zsolnay
Hans-Harald Müller, "Leo Perutz. Biographie", Verlag Paul Zsolnay

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Johannes Brahms/1833 - 1897
Titel: Sonate für Violine und Klavier Nr.3 in d-moll op.108
* Un poco presto e con sentimento - 3.Satz (00:02:56)
Violinsonate
Solist/Solistin: Henryk Szeryng /Violine
Solist/Solistin: Artur Rubinstein /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: RCA GD 86264

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