Renée Fleming bei den Proms

6. September 2017, 14:05

Tonmalerin auf Küstenwanderung

Die 1981 in Stockholm geborene Komponistin Andrea Tarrodi bezieht sich in ihrem 2012 uraufgeführten Orchesterwerk "Liguria" auf "Cinque Terre", den zwölf Kilometer langen Küstenstreifen, die "Fünf Ortschaften" an der Ligurischen Küste. Der Besuch dieser Touristenattraktion inspirierte sie zu einem Werk, einer "Wanderung durch die Dörfer". Das kurze Werk gliedert die Komponistin, die eigentlich Malerin werden wollte und sich als Tonmalerin versteht, in sechs Abschnitte: Wellen, Horizont, Blauer Pfad, Farben, Berge, Sterne.

Sehnsucht nach Heimat

Umjubelter Star des 61. Promenadenkonzerts der am 9. September zu Ende gehenden 123. Saison der BBC Proms war die amerikanische Sopranistin Renée Fleming mit Musik von Richard Strauss und einem von Samuel Barber als "lyrische Fantasie" bezeichneten Werk für Solostimme und Kammerorchester "Knoxville: Summer of 1915."

Barber vertonte einen 1935 entstandenen Text. Er und die 1947 entstandene Komposition beschwören einen Sommerabend im amerikanischen Mittleren Westen. Die Familie und das Kind liegen auf der Veranda, auf Patchworkdecken; nichts passiert, kaum Gespräche: einfach da sein. "Nach einiger Zeit werde ich ins Bett gebracht; aber niemand wird mir jemals sagen, wer ich bin." Diese Nostalgie, meint Renée Fleming, mögen wir alle, Sehnsucht nach Unschuld, nach Menschen und Dingen, die für immer verschwunden sind.

Vier Temperamente

Im ersten Satz der 2. Symphonie des dänischen Symphonikers Carl Nielsen poltert der Choleriker, doch lassen sich unter dem Aufbrausenden auch andere Schichten erkennen: sanfte, freundliche, liebenswerte und noble. Satz und Werk beginnen mit einem Wutanfall. In jedem Temperament sind für Nielsen auch Anteile der anderen enthalten.

In der Idylle des 2. Satzes lauern Träges und Destruktives. Der selbstgefälligen Behaglichkeit bedeutet schon ein gemütlicher Tivoli-Walzer Anstrengung. Die Modulationen danach hat englische Symphoniker Robert Simpson einen "themenlosen Schlaf" genannt: "Die Musik lässt stellenweise an eine bewunderungswürdige Kuh denken, die köstlich schmeckendes, sonst wenig beachtetes Futter wiederkäut." Davon versucht sich die Musik zu ernähren. Sie beginnt einen Kanon, doch verlieren die Instrumente bald das Interesse. Auch die Reprise erlaubt sich ihren Spaß - mit "träger Tonartenrückkehr", kompositorisch eine riskante Satire auf uninspirierte und faule Komponistenkollegen. Der Satz verebbt unentschlossen.

Der 3. Satz ist einer der schönsten Sätze im Gesamtwerk von Nielsen. Nielsens Melancholie hat ihre heroisch aktiven Seiten; sentimental, weinerlich ist dieses Temperament nicht. Die Musik erklimmt einen Ekstasegipfel, wo aber erst recht wieder die Melancholie wartet, mit der wir den Abstieg antreten.

Im Schlusssatz kommt der 25-jährige Nielsen dem Sanguinischen auf die Schliche. Die Welt ist ihm so was von egal. Schwierigkeiten? Darüber kann er nur lachen - "albern und selbstgefällig" soll der Marsch klingen.

Sendereihe

• Das Ö1 Konzert

Gestaltung

• Peter Kislinger