Gedanken für den Tag

Cornelius Hell zum 200. Geburtstag von Theodor Storm

"Ein Blatt aus sommerlichen Tagen". Zum 200. Geburtstag von Theodor Storm macht sich der Literaturkritiker und Übersetzer Cornelius Hell Gedanken über den Lyriker und Erzähler. Gestaltung: Alexandra Mantler

Die Landschaften und Städte, an denen sich mein Blick geschult hat, haben mit jenen von Theodor Storm kaum etwas gemein. Darum bin ich dankbar für die Anmerkungen in den Ausgaben seiner Prosa-Texte, denn die Pflanzen- und Tierwelt der Heide in Schleswig-Holstein oder die Terminologie des Deich-Baues kenne ich nicht. Doch ein paar Informationen genügen, und ich kann eintauchen in die Heide-Landschaft, die Storm am Beginn seiner Novelle "Zur Chronik von Grieshuus" beschreibt.

Diese Landschaft liegt in der Nähe seiner Heimatstadt Husum, der er im Gedicht "Die Stadt" ein poetisches Denkmal gesetzt hat.

Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;
Der Nebel drückt die Dächer schwer,
Und durch die Stille braust das Meer
Eintönig um die Stadt.

Eine Provinzstadt, Grau in Grau, nebelig und eintönig - es ist kein attraktives Bild, das Storm hier zeichnet. Und die zweite Strophe ist eine Absage an die Idyllen von Wald und Singvögeln. Und dennoch - die Schlussstrophe ist geradezu ein Hymnus auf diese Stadt:

Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
Du graue Stadt am Meer;
Der Jugend Zauber für und für
Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
Du graue Stadt am Meer.

In dieser grauen Stadt am Meer wurde Theodor Storm am 14. September 1817 geboren - als dänischer Staatsbürger, denn Schleswig-Holstein gehörte damals zu Dänemark. Weil er sich gegen diese Fremdherrschaft und vor allem für die deutsche Sprache engagierte, musste er Husum für einige Zeit verlassen. Aber er fühlte sich überall im Exil, auch und gerade in Berlin. Nach der Niederlage Dänemarks im Deutsch-Dänischen Krieg kehrte Storm als Landvogt und Amtsrichter nach Husum zurück.

Im Grunde war sein ganzes Leben auf diese Stadt bezogen. Und vor allem sein Schreiben. Theodor Fontane, mit dem ihn eine nicht ganz einfache Freundschaft verband, machte sich lustig über Storms "Husumerei". Und es stimmt: Storm ist kein weltläufiger Autor, der seine Novellen überall spielen lassen kann. Aber auch wenn er vielleicht ein Winkel-Advokat gewesen sein mag - ein Winkel-Poet ist er sicher nicht, denn er versteht es, in seinem Husum und in seiner Heide-Landschaft die Welt abzubilden. So folge ich ihm immer wieder gerne dorthin.

Service

Theodor Storm, Pole Poppenspäler. Reclam Verlag 2002. (Auch enthalten in: Theodor Storm, Erzählungen. Herausgegeben von Rüdiger Frommholz. Reclam Verlag)

Theodor Storm, Der Schimmelreiter. Herausgegeben, mit Anmerkungen und einem Nachwort von Philipp Theison. Alfred Kröner Verlag 2016 (Taschenbuchausgabe: Reclam Verlag 2017)

Theodor Storm, Zur Chronik von Grieshuus. Herausgegeben und mit einem Nachwort und einem Glossar von Jochen Missfeldt. C. H. Beck Verlag 2013

Theodor Storm, Gedichte. Auswahl. Herausgegeben von Gunter Grimm. Reclam Verlag 2012

Theodor Storm, Immensee und andere Novellen. Reclam Verlag 2002

Jochen Missfeldt, Du graue Stadt am Meer. Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Carl Hanser Verlag, 3. Auflage 2013 (Taschenbuchausgabe: Reclam Verlag 2014)

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Hermann Reutter/1900 - 1985
Textdichter/Textdichterin, Textquelle: Theodor Storm/1817 - 1888
Album: THEODOR STORM IM LIED
Titel: Die Stadt
Textanfang: Am grauen Strand, am grauen Meer und seitab liegt die Stadt. Der Nebel drückt die Dächer schwer
Gesamttitel: 5 LIEDER VON HERMANN REUTTER
Solist/Solistin: Ulf Bästlein /Bariton
Solist/Solistin: Charles Spencer /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: MDG 60312342

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