Gedanken für den Tag

Hubert Gaisbauer über Radiokultur

"Oden ans Radio" - Über Radiokultur macht sich der Publizist und Mitbegründer von Ö1, Hubert Gaisbauer, Gedanken. Gestaltung: Alexandra Mantler

O wie Ode. Okay. An das Radio eine Ode. Das könnte - oder müsste - zu allererst eine Ode, also ein Lobgesang, sein auf die Sprache, die wandelbare. Denn Radio lebt von dem gesprochenen Wort - und weniger, eigentlich gar nicht, von den sich drehenden Scheiben, den Tonträgern und Speichern, gewiss, das sind Schätze im Tonarchiv und im Fundus.
Einst war Radio ja das Urmeter sprachlicher Korrektheit - zwar oft steif und formelhaft - Sprach- und Sprechschule der Nation. Radio ist ja immer die Skala, an der hörbar ist, welchen Anteil Schmutzpartikel der Oberflächlichkeit, der Achtlosigkeit und der beginnenden Inhumanität an der geistigen Luft haben. Auch dafür ist das Radio gut, dass es die Diagnose zulässt, was an einem Wort Herders dran ist, wenn er der Sprache zuschreibt, dass sie "nach ihrem Bilde" eine nationale Kultur schafft.

Es sei mir gestattet, dass ich einige Male in dieser Woche dem Radio per exemplum einen Namen gebe: Österreich 1, oder wie man salopper sagt: Ö1, okay. Wenn es so ein Radio nicht gäbe, würden die Leute nur mehr uniformiert nach der Grundchoreographie nicht unterscheidbarer Formatradios durch den digitalen Äther hetzen. Und bald sprachlos. Ein Wort wie "Radiokultur" nähme sich dann aus, als stamme es aus den Anfängen des Holozäns. Und es gäbe keine Hörer und keine Hörerinnen mehr, sondern nur mehr: Leute. Radiokultur steht in Opposition zur Flüchtigkeit, sie lädt ein zum Zuhören. Sprache und ihre Zuhörer brauchen Zeit und die Zeit braucht Sprache und ihre Zuhörer, denn diese haben einen kritischen Kopf und ein lebendiges Herz.

"Sie müssen nicht denken, bevor Sie sprechen", sagte Elfriede Jelinek in der Dankesrede für einen großen Radiopreis, "aber Sie müssen denken, wenn Sie zuhören."

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Urheber/Urheberin: Wolfgang Amadeus Mozart
Titel: String Quintet, K 515 C major Allegro
Ausführender/Ausführende: Alban Berg Quartet, Markus Wolf (Viola)
Länge: 02:00 min
Label: EMI Classics LC 06646

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